Tanz mit mir - Roman
bin, war ich genauso sehr schuld daran wie er. Damals war ich sehr unsicher und dachte immer, ich sei nur so gut wie das Ergebnis unseres letzten Wettbewerbs. Ich war geradezu besessen davon, jeden Titel zu gewinnen, und dachte, Tony würde mich nur so lange wollen, wie ich die perfekte Tanzpartnerin sei und wir zusammen neue Figuren und Tänze lernen würden.«
Angelica senkte den Blick. »Am Ende hat er gesagt, er wisse nicht, ob ich ihn außerhalb der Tanzfläche genauso lieben würde wie auf der Tanzfläche. Seltsamerweise hätte ich das Gleiche von ihm behaupten können. In Wahrheit hatten wir wohl beide Angst, ehrlich zueinander zu sein, wenn wir uns nicht über den Tanz miteinander unterhalten konnten. Auf der Tanzfläche hat es immer richtig zwischen uns gefunkt. Ich hätte den Gedanken nicht ertragen können, dass unser Leben zu Pantoffeln und Kakao abgeflaut wäre, wenn er herausgefunden hätte, welch eine Langweilerin unter den Pailletten verborgen war.«
»Sie sind doch alles andere als langweilig, Angelica!«
Das Showlächeln konnte über das Bedauern in Angelicas Blick nicht hinwegtäuschen. Wie sie dort im hellen Tageslicht inmitten des leeren Saals stand, erschien sie Katie mit einem Mal viel älter und erschöpfter als im Tanzkurs. »Leidenschaftliche, stürmische Beziehungen sind schön und gut, wenn man die Kraft hat, zu kämpfen und sich anschließend wieder zu vertragen …« Sie zuckte mit den Schultern. »Unsere Beziehung jedoch hat ein schnelles Ende gefunden, und mir ist ehrlich gesagt ein schnelles Ende lieber, als alles unnötig in die Länge zu ziehen. Anschließend bin ich nach Amerika gegangen, wo ich eine Zeit lang mit Jerry verheiratet war. Mit ihm war ich sehr glücklich.«
Katie ließ sich von Angelicas strahlendem Lächeln nicht täuschen. »Tony hat nie versucht, wieder in Kontakt mit Ihnen zu treten?«
Angelica schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin viele Male umgezogen. Außerdem habe ich noch nie etwas davon gehalten zurückzugehen.«
»Aber Sie sind doch auch hierher zurückgekehrt, nicht wahr?«, hob Katie hervor.
Angelica seufzte. »Es scheint so.«
Die Tangomusik schien Erinnerungen in ihr geweckt zu haben, die sie nicht einfach für immer auslagern und vergessen konnte. Katie merkte deutlich, dass sie in Angelicas Privatleben eindrang.
Nein, dachte sie, ich bin kein Eindringling. Vielmehr teile ich ohne Worte mein eigenes Leid mit ihr und sie mit mir. Es war ein bittersüßes Gefühl.
»Es tut mir leid«, erklärte sie. »Ich wollte nicht neugierig sein.«
»Das sind Sie nicht«, erwiderte Angelica. »Es ist nur … Ihnen diesen Tanz beizubringen und in diesen Saal zurückzukehren, weckt alte Erinnerungen. Eigentlich war ich nur hier, um das Haus meiner Mutter in Ordnung zu bringen.
Doch dann habe ich gemerkt, dass in Wahrheit ich diejenige bin, die in Ordnung gebracht werden muss.« Sie sah zu Katie auf und verzog das Gesicht. »Lagern Sie besser nie etwas ein, das rate ich Ihnen. Weder im echten Leben noch in Ihrer Beziehung. Eines Tages müssen Sie den ganzen Krempel nämlich doch wieder auspacken, ob Sie nun wollen oder nicht.«
Angelica klatschte in die Hände, um damit dem melancholischen Moment ein Ende zu setzen. »Und wenn Sie dann Ihre alten Kleider auspacken, stellen Sie deprimiert fest, dass Sie früher einmal schlank waren.« Sie lächelte. »Dann sind Sie gezwungen, schlanke junge Damen zu finden, denen Sie die Kleider geben können. Müssten Sie nicht eigentlich längst wieder in Ihrem Büro sein?«
»Doch, schon.« Plötzlich hatte Katie es gar nicht mehr eilig, zur Arbeit zurückzukehren. Das Büro war in der Liste ihrer Prioritäten nach unten abgerutscht. »Kann ich eine CD mit Tangomusik haben, um sie im Auto anzuhören?«
Angelica lächelte, und ihr Gesicht sah mit einem Mal drei ßig Jahre jünger aus. »Natürlich. Endlich!«
Als sie sich auf den Weg machte und sich den Mantel enger um den Körper schlang, um sich vor dem eisigen Novemberwind zu schützen, drehte sich Katie noch einmal um und schaute zurück auf die Memorial Hall. Sie erschrak, als ihr Blick auf eines der äußeren Buntglasfenster fiel, das kaputt war. Die Scheibe war zwar nicht zerbrochen, aber definitiv gerissen. Langsam ging sie zum Gebäude zurück und entdeckte weitere tiefe Risse in zwei anderen Fenstern. Außerdem waren die hölzernen Fensterrahmen dieser Fenster auseinandergerissen worden, als hätte jemand beweisen wollen, dass sie morsch sind.
Katie
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