Tanz mit mir - Roman
Secondhandladen mehr auch nur ein einziges Ballkleid aufzutreiben gewesen. In den Drogerien waren sogar die Selbstbräuner ausverkauft, und die Friseure hatten den Tag über mit festlichen Hochsteckfrisuren alle Hände voll zu tun gehabt. Dank der großen Berichterstattung waren fast alle Amts- und Würdenträger der Stadt anwesend und sehr darauf bedacht, neben den gewohnten Teilnehmern des Tanzabends vor den Kameras zu posieren. Die Röcke waren so ausladend, dass nicht mehr als fünf Frauen zur gleichen Zeit in den Toiletten ihren Lippenstift auffrischen konnten.
Der Ball begann um Punkt halb acht nach einer recht nervösen, aber sehr bewegenden Ansprache von Bridget, in der sie hervorhob, wie wichtig es sei, die schönen alten Bauten der Stadt zu schützen und zu bewahren. Keiner der Tanzkursteilnehmer
konnte sich über fehlende Tanzpartner beklagen. Baxter war auf die Idee gekommen, für die Damen Tanzkarten zu verkaufen, die ausgefüllt werden mussten. Angelica ihrerseits forderte für jeden Tanz mit ihr eine Spende für die Renovierung der Memorial Hall, und innerhalb kürzester Zeit hatte sie schon genügend Geld zusammen, um den Heizkessel reparieren zu lassen.
Die Vorführung des Tanzkurses sollte um halb zehn beginnen – in der Pause, um »allen, die außer Atem sind, die Chance zu geben, sich wieder zu erholen«, wie Angelica erklärt hatte. Den vor Anstrengung geröteten Gesichtern nach zu urteilen, kam die Unterbrechung keine Minute zu früh.
»Sind alle bereit?«, fragte Angelica, als sich ihre Schüler ein wenig angespannt draußen im Korridor versammelt hatten und sich für den großen Auftritt wie die Küken hinter der Mutterhenne aufreihten. Die Band spielte gerade »Moonlight Serenade«; am Ende des Liedes sollte es so weit sein.
Angelica bemühte sich, so fröhlich und unbeschwert zu klingen wie möglich, doch sie bemerkte sehr wohl die Gänsehaut auf Laurens bleichen Armen und Katies beschleunigten Atem, bei dem sich ihr neues Kleid sichtbar hob und senkte. Sie waren alle nervös. Sogar Baxter fuhr sich immer wieder durch das Haar und versuchte, es mit der Hand zurückzustreichen, bis es völlig glatt war und glänzte.
Angelica wusste, dass sie Nerven wie Stahlseile brauchen würden. Es spielte keine Rolle, ob man den Tower Ballroom betrat oder das eigene Wohnzimmer; wenn andere Leute einem zusahen, war alles anders. Ihr Unterbewusstsein hatte schon begonnen, die Strophen abzuschätzen und abzuzählen, wie viele Refrains noch blieben.
»Ich weiß, dass dies nicht der geeignete Zeitpunkt ist, um eine Rede zu halten«, entschuldigte sie sich und musste dabei die gedämpften Trompeten übertönen, die durch den Saal hallten. »Ich möchte jedoch, dass Sie alle wissen, wie stolz Sie
mich bereits vor Betreten des Saals gemacht haben. Sie werden alle ganz wundervoll tanzen! Ich hoffe, heute Abend mit jedem Einzelnen von Ihnen tanzen zu können.«
»Nicht doch«, warnte Lauren und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. »Sonst verschmiere ich noch meine Wimperntusche!«
»Bloß nicht«, rief Trina erschrocken, deren umfangreiche Sammlung von Eyelinern ihr die Aufgabe eingebracht hatte, sich um das Make-up zu kümmern. »Ich habe eine halbe Ewigkeit gebraucht, um Ihre Wimpern zu tuschen!«
Trina und Chloe tanzten einen Cha-Cha-Cha zusammen, um zu zeigen, »wie gut wir uns bisher ohne Männer geschlagen haben.« Vernünftigerweise hatten sie das Latinthema mehr auf ihre Frisuren bezogen als auf die traditionellen paillettenbesetzten kurzen Kleidchen. Chloes Haar war zu einem blonden Lockenberg im Afrostil frisiert und mit goldenen Seidenblumen verziert. Trinas dunkler Kurzhaarschnitt dagegen war zurückgegelt zu einem »Elfen-Look«, wie es ihre Nichte sehr optimistisch ausgedrückt hatte. Beide hatten mehr Glitzer an ihren Wangen als das gesamte Ensemble der Rocky Horror Picture Show zusammen. Was ihre Kleidung betraf, hatten sie sich für schlichte Stufenröcke entschieden.
»Denken Sie ausschließlich an die Musik«, fuhr Angelica fort und musterte die Gruppe. »Lassen Sie die Musik auf sich einwirken, dann erledigen Ihre Füße den Rest schon von ganz allein! Genießen Sie es, dieses eine Mal das Tanzparkett ganz für sich allein zu haben. Und das Lächeln nicht vergessen!«
Wie auf Knopfdruck hoben sich alle Mundwinkel zu dem steifen Standardlächeln, als die Musik im Saal langsam zum Ende kam.
»Jetzt geht es los«, stellte Katie trocken fest und holte tief Luft,
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