Tanz, Pueppchen, Tanz
stellt sich vor, wie ihre Mutter in Toronto in einer Gefängniszelle sitzt, und vertreibt das ungewollte Bild gleich wieder. Doch die Gestalt will nicht vor ihrem inneren Auge verschwinden, sondern verharrt trotzig am Rand ihres Blickfelds, während Amanda überlegt, ob sie Ellie von Bens Anruf erzählen soll. Als sie schließlich den Mund aufmacht, bemerkt sie, dass Ellie schon mitten im Satz ist. »Verzeihung, was?«
»Ich habe gefragt, wie es sich angefühlt hat, Sean wieder zu sehen.«
Amanda schüttelt die letzten Spuren des Gespensts ihrer Mutter ab. »Ein bisschen komisch irgendwie. Die Vorstellung, einem Menschen, von dem man einmal geglaubt hat, man würde den Rest seines Lebens mit ihm verbringen, nichts zu sagen zu haben, ist seltsam.«
»Bereust du irgendwas?«
»Alles Mögliche«, gibt Amanda seufzend zu. »Ich war keine sehr gute Ehefrau.«
»Ihr habt einfach nicht besonders gut zueinander gepasst, das ist alles.«
Amanda lächelt ihre Freundin dankbar an. »Das ist lieb von dir. Danke.«
»Es ist die Wahrheit. Sean Travis mag ein sehr netter Mann sein, aber er war nie der Mann für dich.«
In ihrem Augenwinkel flackert ein Bild von Ben Myers auf, das Amanda sofort mit einem Blinzeln zu vertreiben sucht.
»Alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut.«
»Du siehst aus, als ob du mir etwas erzählen willst.«
»Dir etwas erzählen?« Nun, also gut, da du fragst. Ich hatte gestern Abend einen ziemlich beunruhigenden Anruf, nachdem ich gerade absolut bedeutungslosen Sex mit einem praktisch Fremden gehabt hatte. Angerufen hat mein Ex-Mann, nicht der Mann, mit dem wir gerade gesprochen haben, sondern ein Mann, von dessen Existenz du gar nichts weißt, mein erster Ex-Mann – es tut mir Leid, ich weiß nicht, warum ich dir nie von ihm erzählt habe, bitte verzeih mir. Jedenfalls hat er mich angerufen, um mir zu berichten, dass meine Mutter verhaftet wurde, nachdem sie in der Lobby des Four Seasons Hotels in Toronto einen Mann erschossen hat. Amanda piekst ein Salatblatt auf und stopft es sich in den Mund, bevor sie irgendwas davon laut sagen kann. »Nein«, antwortet sie stattdessen und lächelt ihre Freundin so überzeugend wie möglich an. »Nichts.«
Nach dem Mittagessen überlegt Amanda, in die Kanzlei zurückzukehren, entscheidet sich jedoch dagegen, weil sie sich nicht Kellys fragenden Blicken aussetzen will. Ins Fitness-Studio kann sie auch nicht gehen, weil sie dort Carter Reese treffen könnte. Und zum Gericht zurückzukehren ist sinnlos. Es ist noch viel zu früh. Es könnte Stunden oder sogar Tage dauern, bevor die Geschworenen zu einem Urteil gekommen sind.
Spontan springt sie auf die altmodische grüne Straßenbahn, die zwischen der Clematis Street und dem nahen City Place pendelt, einem kürzlich errichteten Mekka aus Läden und Restaurants, das sich über mehrere Blocks erstreckt.
Vielleicht sollte sie ins Kino gehen, denkt sie, als sie aus der Bahn steigt und sich durch die träge Menge einen Weg zu den Rolltreppen bahnt. Aber offenbar hat ganz Palm Beach die gleiche Idee, denn vor dem Multiplex reiht sich eine lange Schlange. Amanda kehrt in die viel gepriesene Einkaufspassage im Erdgeschoss zurück und betrachtet auf der Suche nach einem Kleid für Ellies Hochzeit stundenlang abwesend Schaufenster. Selbst als sie in einem Betsey-Johnson-Shop ein langes schwarzes Kleid hängen sieht, das sie reizen könnte, betritt sie den Laden nicht. Stattdessen schreitet sie wie in Trance eine Straße nach der anderen ab, bevor sie sich für eine Weile auf eine leere Bank neben einem dekorativen Brunnen in der Mitte eines belebten Platzes setzt. Sie sieht den Kindern zu, die um die Erwachsenen auf der Terrasse des italienischen Restaurants Bellagio herumtollen; ein Restaurant, das eher für die Größe seiner Portionen als für die Qualität seiner Speisen berühmt ist.
Sie merkt, dass es sie doch aufgewühlt hat, Sean mit seiner neuen Frau zu treffen, obwohl sie nicht genau weiß, warum. Vielleicht ein Hauch von Nostalgie. Er war ein guter Mann, ein gütiger Mann, mit dem sie buchstäblich zusammengeprallt war, als sie ziellos über einen vollen Strand gelaufen war. Sie waren etwas trinken und schließlich essen gegangen. Sie fand es leicht, mit ihm zu reden. Vielleicht war ihr auch nur nach Reden zumute. Und ihm gefiel offensichtlich, was er hörte. Zumindest am Anfang.
Anfänge sind leicht, denkt Amanda. Im Anfangen bin ich super.
Im Beenden auch, beschließt sie, springt auf und hätte
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