Tanz, Pueppchen, Tanz
nicht einmal ihre Schritte.
Der Vollmond verfolgt sie auf ihrer Fahrt die Congress Avenue hinunter. Auf dem Beifahrersitz ihres drei Jahre alten Thunderbird Cabriolet liegt eine frisch erworbene, teure Flasche Rotwein. Der Thunderbird war ein Geschenk von Sean zu ihrem vierten und, wie sich herausstellte, letzten Hochzeitstag. Der Wein war ein Geschenk von ihr selbst. Sie hatte schließlich dazu beigetragen, die Welt für gemeine Kannibalen allenthalben zu einem sicheren Ort zu machen. »Ich habe meinen Job gemacht«, erinnert sie sich, biegt links in die 45th Street und fährt weiter Richtung Interstate 95.
Es ist nicht ihre Schuld, dass Derek Clemens ein so überzeugender Lügner ist. Es ist nicht ihre Schuld, dass Caroline Fletcher ihr eigener schlimmster Feind ist. Das Justizsystem ist im günstigsten Fall ein Würfelspiel, weshalb ein guter Anwalt triftigen Gründen stets vorzuziehen ist. Häufig leiden die Unschuldigen, und die Schuldigen kommen regelmäßig ungestraft davon. Zum Glück verschwimmen die Gesichter im Laufe der Zeit, weiß Amanda. Schon morgen wird sie sich nicht mehr daran erinnern können, wie Caroline Fletcher aussah, als sie hinten im Gerichtssaal geweint hat. Das heißt, mit ein wenig Glück und einem Gläschen Wein zur Feier des Tages. Amanda tätschelt die Flasche auf dem schwarzen Ledersitz neben sich. Der neue Tag wird einen neuen Schwung Verbrecher auf ihren Schreibtisch spülen, der bearbeitet und beraten sein will. Zahlen Sie hier, ziehen Sie Ihr Los. Und dann raus mit Ihnen und weiter.
Als Amanda in die rechte Spur wechselt, blickt sie in den Rückspiegel und sieht hinter ihren eigenen Augen die ihrer Mutter lauern. Manche Gesichter verschwimmen nicht so schnell wie andere, warnt deren Blick.
Sie nimmt die Auffahrt auf die Interstate 95 einen Tick zu schnell und schert vor einem schicken weißen Geländewagen auf die Fahrbahn. Dessen Fahrer weicht ihr aus und schüttelt in fruchtloser Empörung die Faust. Wohin soll es denn so verdammt eilig gehen, scheint er zu fragen, während Amanda wie unbeteiligt weiterhin auf den Verkehr starrt, der sich Richtung Norden auf mehreren Spuren staut.
Der Highway ist wie üblich eine von Autos verstopfte Arterie. Müde Pendler auf dem Heimweg, ahnungslose Touristen auf der Suche nach dem neuesten angesagten Laden, barfüßige Teenager mit gefälschten Ausweisen unterwegs in die schicksten Bars, Rentner, denen man schon vor Jahren den Führerschein hätte entziehen sollen, da sie keine Ahnung haben, wo sie sind, geschweige denn, wohin sie wollen. Ein typischer Freitagabend im Februar. Der Länge des Staus und dem Schneckentempo nach zu urteilen hat es wahrscheinlich irgendwo einen Unfall gegeben. Selbst Schuld, denkt sie mit einem Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Fast sieben. Sie hätte nach dem Gerichtstermin nicht so lange im Büro bleiben sollen. Sie hätte sich in dem Spirituosenladen nicht so viel Zeit mit der Auswahl des Weines lassen sollen. Sie hätte an einem Freitagabend im Februar um sieben nicht die Interstate nehmen dürfen. Normalerweise dauert die Fahrt nach Jupiter zwanzig Minuten, und jetzt kann sie froh sein, wenn sie um acht zu Hause ist. Amanda lehnt ihren Kopf an die Kopfstütze. Es hat keinen Zweck, sich über etwas aufzuregen, worauf sie keinen Einfluss hat.
Diese Philosophie funktioniert ungefähr zehn Minuten, dann ist sie kurz vor dem Explodieren. »Okay, das reicht jetzt. Macht voran, Leute.« Sie starrt auf den cremig gelben Mond vor sich, als ob die lächelnde Miene, die sie in seinen Zügen erkennt, auf irgendeine Weise für ihre Unpässlichkeit verantwortlich wäre. Vollmond ist eine gefährliche Zeit, wie sie weiß. Sie blickt in den Wagen neben sich und sieht eine Frau in einem pinkfarbenen Twinset, die in ihr Handy spricht.
Ich könnte jemanden anrufen, denkt sie und greift in ihre Handtasche, obwohl sie nicht genau weiß, wen sie anrufen soll. Ellie würde es seltsam finden, an einem Tag zweimal von ihr zu hören, und sie erinnert sich vage, dass Kelly ein Abendessen bei ihren Eltern wähnt hat. »Ellie und Kelly«, sagt Amanda laut und lässt die Namen über ihre Zunge rollen. »Ellie und Kelly. Kelly und Ellie, sind ganz spezielli, Ellie und Kelly.« Na super. Jetzt bin ich komplett verrückt geworden, denkt sie und beschließt, ihre Freundin Vanessa anzurufen. »Na klar. Ruf Vanessa an. Sie hat wie lange nichts mehr von dir gehört? Zwei Jahre?« Oder wie wär’s mit Judy Knelman? Als du noch mit
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