Tanz, Pueppchen, Tanz
um ein Haar ein älteres Paar umgerempelt, das sich vorsichtig über das unebene Pflaster tastet. Es war ihre Entscheidung, die Ehe mit Sean zu beenden, genauso wie sie ihren ersten Ehemann Ben verlassen hatte. Dieser ganze Zusammen-alt-werden-Quatsch ist nichts für sie. Lieben und links liegen lassen ist ihr Motto. Und es ist immer besser, wenn man selbst diejenige ist, die Schluss macht.
Püppchen, hört sie jemanden rufen. Hierher, Püppchen. Hierher.
Amanda reiß ihren Kopf herum, sieht jedoch nur eine Gruppe spielender Kinder. »Hierher, du Penner«, brüllt ein Junge seinen Freund an. »Nein, du Idiot, hierher!«
Püppchen! Püppchen!
Amanda flüchtet in den nächstbesten Laden, um dem Geschrei zu entkommen, nimmt mehrere Bügel von einem Ständer und steuert die Kabinen im hinteren Teil des Raumes an.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt eine Verkäuferin. Sie ist ungefähr achtzehn, so alt, wie Amanda war, als sie Ben geheiratet hat.
Ob er wieder geheiratet hat, fragt sie sich. »Nein, nicht da entlang«, sagt sie laut und reibt sich die Stirn, um alle Gedanken an Ben auszuradieren.
»Verzeihung?«, fragt die Verkäuferin. »Sie wollen die Sachen nicht anprobieren?«
»Was? Ja, doch. Natürlich.« Minuten später steht sie in dem beengten Raum, der sich Umkleidekabine schimpft, und betrachtet sich in dem langen, schmalen Spiegel, aus dem ihr das jugendliche Gesicht ihrer Mutter entgegenblickt.
Hallo, Püppchen, sagt ihre Mutter.
Amanda läuft es kalt den Rücken hinunter. Sie war sechs Jahre alt, als ihre Mutter den alten Mr. Walsh mit einem Fluch belegt hat, weil er seinen Wagen immer in der Mitte der gemeinsam genutzten Einfahrt parkte. Zwei Monate später war der arme Mann tot. So stark war die schreckliche Macht ihrer Mutter.
Und jetzt ist ein weiterer Mann tot, denkt Amanda. Mit drei Schüssen vermutlich aus kurzer Entfernung getötet.
Was ist los, Mom? Wirken dir Flüche mittlerweile nicht mehr schnell genug?
Püppchen, ruft ihre Mutter vor der Tür.
»Verzeihung. Was?«
»Ich habe gefragt, ob alles in Ordnung ist«, antwortet die Verkäuferin.
»Alles bestens«, sagt Amanda, obwohl sie noch immer kein einziges Teil anprobiert hat. »Danke.«
»Ist das Ihr Telefon, das klingelt?«, fragt die Verkäuferin.
Jetzt bemerkt auch Amanda das irgendwo neben ihr klingelnde Handy. »Oh. Oh, ja.« Sie greift in ihre schwarze Lederhandtasche. »Hallo?«, fragt sie ängstlich.
Hab ich dich endlich weich gekocht, was?
»Was?«
»Das Gericht hat eben angerufen«, informiert ihre Sekretärin sie. »Die Geschworenen sind zurück.«
5
»Im Anklagepunkt der Morddrohung befinden Sie den Angeklagten für?«
»Nicht schuldig.«
»Im Anklagepunkt der Freiheitsberaubung befinden Sie den Angeklagten für?«
»Nicht schuldig.«
»Im Anklagepunkt der sexuellen Nötigung befinden Sie den Angeklagten für?«
»Nicht schuldig.«
»Im Anklagepunkt des Angriffs mit einer tödlichen Waffe befinden Sie den Angeklagten für?«
»Nicht schuldig.«
»Im Anklagepunkt der Körperverletzung befinden Sie den Angeklagten für?«
»Schuldig.«
»Vielen Dank«, sagt der Richter, entlässt die Geschworenen und setzt einen Termin für die Urteilsverkündung fest.
»Was lief da gerade ab?« Derek Clemens’ Blick huscht zwischen seiner Anwältin und der drallen jungen Frau hin und her, mit der er zusammengelebt hat und die jetzt hinten im Gerichtssaal weint.
»Sie sind in vier von fünf Anklagepunkten freigesprochen worden.«
»Und wie kommt es, dass sie mich im fünften Punkt für schuldig erklärt haben?«
»Weil Sie sie gebissen haben, Derek«, erinnert Amanda ihn.
»Ich habe sie auch vergewaltigt«, sagt er. »Und in dem Punkt haben sie mich freigesprochen.«
Amanda schüttelt halb angewidert, halb fassungslos den Kopf. Wenn sie daran denkt, dass sie sich eingeredet hat, zumindest einen Teil seiner Geschichte zu glauben. »Ich sehe Sie dann bei der Urteilsverkündung.«
»Meinen Sie, ich muss ins Gefängnis?«
»Es handelt sich um ein Erstvergehen; Sie sind Tiffanys Hauptversorger. Wahrscheinlich werden Sie mit Bewährung davonkommen.«
»Ich schwöre, ich bring die Schlampe um, wenn ich im Knast lande.«
»Schön. Vergessen Sie bloß nicht, sich einen anderen Anwalt zu besorgen.« Amanda streift ihre Handtasche über die rechte Schulter und marschiert gefolgt von Derek Clemens Richtung Tür.
»Hey, warten Sie. Ich dachte, wir könnten vielleicht noch was trinken gehen. Zur Feier.«
Amanda verlangsamt
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