Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz, Pueppchen, Tanz

Tanz, Pueppchen, Tanz

Titel: Tanz, Pueppchen, Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
hört Schritte im Flur und zieht sich unwillkürlich in eine Ecke zurück, wo sie den Atem anhält, als sich die Tür des kleinen Raumes öffnet. Ein Wärter steckt seinen Kopf herein. »Sie brauchen noch einen Stuhl, hab ich gehört?« Er reicht Ben den Stuhl, ohne den Raum zu betreten.
    Amanda bläst den angehaltenen Atem aus, wischt sich eine einzelne Träne aus dem Auge und lacht laut. Warum bin ich so verdammt nervös, fragt sie sich. Meine Mutter sitzt im Gefängnis, Himmel noch mal. Sie kann mir in keiner Weise mehr wehtun.
    Und dann geht die Tür wieder auf, und Amanda sieht sich Angesicht in Angesicht mit der Frau, vor der sie den größten Teil ihres erwachsenen Lebens weggelaufen ist.

11
    Was Amanda sieht: eine kleine Frau in unvorteilhafter Gefangenenkleidung, einem dunkelgrünen Jogginganzug mit einem grell rosafarbenen Bündchen. Für ihre fast zweiundsechzig Jahre wirkt die Frau erstaunlich jung, obwohl sie vollkommen ungeschminkt ist, ihr Gesicht ist ruhig und weder von Sorge noch von Reue gezeichnet, ihr Haar ein Kranz aus kurzen blonden Locken. Ihre blassen blauen Augen werden weit, als sie Amanda sieht und für ein kurzen Moment Sehnsucht in ihrem Blick aufflackert, so flüchtig, dass Amanda sich nicht sicher ist, ob sie es sich nicht nur eingebildet hat, ein Produkt ihres eigenen verirrten Verlangens.
    Ihre Mutter sagt nichts, sodass Amanda sich fragt, ob die Frau überhaupt weiß, wer sie ist. Leidet sie möglicherweise an Demenz? Erkennst du mich nicht, Mutter, will sie fragen, bringt jedoch keinen Ton heraus. Vielleicht geht es ihrer Mutter genauso. Vielleicht ist sie so überwältigt, nach all der Zeit ihr einziges Kind zu sehen, dass sie sprachlos ist, vielleicht liegt ihre für gewöhnlich spitze Zunge schlaff und unbeweglich in ihrem Mund wie ein sterbender Fisch in einem Eimer. Vielleicht ist sie verlegen oder sogar beschämt in Anbetracht der Umstände, die sie wieder zusammengeführt haben. Aber wahrscheinlich hat sie der jungen Frau, deren Anwesenheit sie ohnehin nur flüchtig zur Kenntnis genommen hat, einfach nichts zu sagen. Es würde sie offensichtlich mehr Mühe kosten, als Amanda es wert ist.
    »Ich habe Amanda angerufen und ihr erzählt, was passiert ist«, erklärt Ben. »Sie ist gestern aus Florida gekommen.«
    Ihre Mutter geht zu dem Stuhl an dem Tisch und setzt sich, ohne etwas zu sagen.
    Was Amanda empfindet, ist: Wut.
    Sie will sich auf die Frau stürzen und sie durchrütteln, bis etwas – irgendetwas – zu diesen bösartig ruhigen blauen Augen vordringt. Sag was, will sie schreien, weil das Schweigen ihrer Mutter schlimmer ist als jede Beleidigung, die jene ihr an den Kopf hätte werfen können, und ihre andauernde Gleichgültigkeit ist beinahe mehr, als sie ertragen kann. Ich habe eine Erklärung verdient. Dafür, dass du kaltblütig einen Mann ermordet hast. Dafür, dass du mich so behandelt hast. Dafür, dass du mich nie geliebt hast.
    Was sie sagt, ist: »Schön, dich zu sehen, Mutter.«
    Zum letzten Mal hat Amanda ihre Mutter kurz nach der Beerdigung ihres Vaters gesehen. Es war eine kleine Feier, anwesend waren nur die Familie, einige Geschäftskollegen und etliche Nachbarn. Freunde im eigentlichen Sinne des Wortes waren nicht da, weil ihre Eltern keine Freunde hatten. Dafür waren die extremen Launen und das erratische Verhalten ihrer Mutter verantwortlich gewesen. Nicht, dass Edward Price den Eindruck gemacht hätte, als würde er Freunde vermissen; er hatte sein Leben der Betreuung seiner unglücklichen Frau gewidmet. Am Ende war er dafür mit einem schweren Herzinfarkt und einem zu frühen Tod belohnt worden.
    Nach der Beerdigung hatten Amanda und Ben ihre Mutter zurück nach Hause begleitet. Die alte Mrs. MacGiver, die Nachbarin von gegenüber, hatte selbst gebackenen Limonenkuchen vorbeigebracht, und Amanda schnitt ihn auf, während Ben sich mit der Zubereitung des Kaffees beschäftigte. Ihre Mutter saß am Küchentisch und starrte sie wütend an, als würde ihr zum ersten Mal an diesem Tag auffallen, dass sie überhaupt da waren. »Das ist hier keine Party«, sagt sie und kippte ein großes Glas Wodka.
    »Das hat auch niemand behauptet.« Amanda biss sich auf die Zunge, um nicht mehr zu sagen. »Ich dachte bloß, dass du vielleicht etwas essen willst.« Sie stellte einen Teller mit einem Stück Kuchen vor ihrer Mutter auf den Tisch.
    Ihre Mutter schob ihn weg. »Da liegst du falsch.«
    »Nun, darin bin ich wenigstens konsequent.«
    »Immer noch dieses lose

Weitere Kostenlose Bücher