Tanz, Pueppchen, Tanz
besonders glücklich sein«, erklärt sie ihrem Spiegelbild. Er wird ihr sagen, dass sie ohne ihn nichts bei Hayley Mallins zu suchen hat. »Ich kann nichts dafür«, verteidigt sie sich und spürt Bens Präsenz in den aus der Wanne aufsteigenden Dampfschwaden. »Ich hab mich daran gewöhnt, die Dinge ohne dich zu machen.« Wenn er es nicht so verdammt eilig gehabt hätte, zu seiner Jennifer zu kommen, wäre vielleicht …
Und was hast du bei deinem unbesonnen Besuch erfahren, hört sie ihn dazwischengehen.
»Nicht viel«, muss Amanda zugeben. Nackt geht sie zurück ins Zimmer, setzt sich auf die Bettkante und versucht, die Fakten so zusammenzustellen, dass sie möglichst eindrucksvoll klingen. »Ich habe erfahren, dass die arme Mrs. Mallins ebenso ahnungslos ist wie wir alle. Sie hat noch nie von einer Frau namens Gwen Price gehört und keinen Schimmer, warum jene ihren Mann umgebracht hat. Wie mache ich mich bisher?« Sie springt auf und beginnt wie vorhin Hayley Mallins zwischen Bett und Schreibtisch auf und ab zu laufen.
Die Frau hat ein nettes Gesicht, denkt Amanda. Unter glücklicheren Umständen und mit ein bisschen Make-up wäre sie sogar richtiggehend hübsch. Ihre Tochter wird ohne Frage zu einer Schönheit heranwachsen. Eine zukünftige Herzensbrecherin. Die armen Kinder. Da kommen sie als sorglose Touristen den weiten Weg von England, und am nächsten Tag sind sie trauernde Verwandte. Toller Urlaub.
Außer, dass sie hier eigentlich gar keinen Urlaub gemacht haben, oder? Nein. John Mallins wollte den Nachlass seiner Mutter regeln.
Im nächsten Moment kniet Amanda neben dem Bett und zerrt das schwere Telefonbuch von Toronto aus der untersten Nachttischschublade. Sie hockt sich mit ihrem nackten Hintern auf den weichen Teppich, schlägt den Buchstaben M auf und blättert sich durch Malcolm, Malia und Malik, dann Mailin, Mailing und Mallinos. »Mallins! Ja!«, ruft sie und zählt insgesamt sechs Einträge.
Super. Und was jetzt?
»Denk nach.«
Laut Hayley Mallins hatte John Mallins außer seiner verstorbenen Mutter keine Familie in Toronto. Es gab also keinen Grund zu der Annahme, dass einer der sechs aufgelisteten Mallins auch nur entfernt mit dem Toten verwandt war.
Aber Mrs. Mallins war nicht direkt auskunftsfreudig gewesen, als sie darauf zu sprechen gekommen war, warum die Familie im tiefen Winter ausgerechnet Toronto als Urlaubsort gewählt hatte, und erst Amandas stures Bohren hatte den eigentlichen Grund des Besuches zutage gefördert. Vielleicht gab es also noch mehr, was Hayley Mallins nicht sagte.
Oder noch mehr, was sie nicht wusste.
Eines weiß Amanda jedenfalls sicher: Ihre Mutter hatte einen Grund, John Mallins zu erschießen.
Man läuft doch nicht rum und erschießt einfach wildfremde Menschen.
»Also, los«, wiederholt Amanda mit Hayleys elegantem britischen Akzent. Sie starrt auf die Liste der Namen – Mallins, A.; Mallins, Harold; Mallins, L …. »Oh Gott, mein Bad!« Dichte Dampfschwaden treiben bereits ins Zimmer, und Amanda kämpft sich durch den Nebel, um das Wasser abzudrehen, das schon über den Wannenrand plätschert.
»Nein, bitte nicht«, fleht sie, versucht das Wasser mit den griffbereiten Handtüchern aufzusaugen und entdeckt, dass ihre achtlos weggeworfene Kleidung als unfreiwilliger Aufnehmer dient. »Na großartig. Das ist einfach super.«
Sie braucht zehn Minuten, um die Überschwemmung aufzuwischen und das Wasser aus ihrem Pullover und ihrer Hose zu wringen. Sie hängt sie zum Trocknen über die Duschstange, vermutet jedoch, dass sie ohnehin ruiniert sind, kauft sie doch mit Bedacht immer nur Kleider mit der Anweisung Dry Clean Only.
Sie zieht den weißen Frotteebademantel über, den das Hotel dankenswerterweise bereitstellt, und kehrt in das Zimmer zurück. Das Telefonbuch liegt aufgeschlagen auf dem Boden. »Ich habe keine Zeit für irgendwelche Angelausflüge«, erklärt sie dem Buch und klappt es zu. »Ich reise morgen ab.« Oder vielleicht auch erst am Dienstag, schränkt sie ein, klappt das Buch wieder auf und sieht zu, wie die Seiten übereinander fallen und die Listen von Namen zu einer formlosen grauen Masse verschwimmen. Sie kann genauso gut bleiben, bis ihre Mutter sich des Mordes für schuldig erklärt hat und für den Rest ihres Lebens eingesperrt wird.
C,H,L,M …
Malcolm, Malia, Mallinos …
Man läuft doch nicht rum und erschießt einfach wildfremde Menschen.
Mallins.
Wer zum Teufel ist John Mallins?
Die Polizei braucht die Antwort
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