Tanz, Pueppchen, Tanz
will sie gerade verbessern, als ein zehn- oder elfjähriger Junge ins Zimmer gestürmt kommt. »Was ist los?«,fragt er und mustert Amanda misstrauisch.
»Amanda Travis, das sind meine Kinder, Hope und Spenser.«
»Hallo«, erwidert Amanda schlicht, weil sie fast Angst hat, noch mehr zu sagen.
»Können wir jetzt zurück nach England?«, fragt der Junge. Lange braune Strähnen fallen ihm in die Augen, die heller sind als die seiner Mutter und seiner Schwester, aber nicht weniger durchdringend.
»Ich fürchte, noch nicht«, erklärt Amanda ihm und beobachtet, wie sich Enttäuschung auf das runde Gesicht des Jungen legt. Sie wendet sich wieder Mrs. Mallins zu. »Meinen Sie, wir könnten uns kurz unter vier Augen unterhalten?«
»Selbstverständlich.«
»Was ist mit dem Abendessen?«, will Spenser wissen.
»Darum kann sich deine Schwester kümmern«, sagt Mrs. Mallins. »Oder nicht, Liebes?«
»Natürlich«, antwortet Hope in dem gleichen gemessenen Ton wie ihre Mutter. Sie nimmt ihren Bruder an die Hand und führt ihn aus dem Zimmer. Auf der Schwelle bleibt er noch einmal stehen, dreht sich um und wirft Amanda einen grimmigen Blick zu.
Mrs. Mallins schließt die Tür hinter ihnen. »Kann ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
»Nein danke, nicht nötig. Mrs. Mallins …«
»Bitte nennen Sie mich Hayley.«
»Mrs. Mallins …«, wiederholt Amanda.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten? Liegt Ihnen das Ergebnis der Obduktion jetzt vor?« Mrs. Mallins packt die Lehnen eines von zwei rot-goldenen Ohrensesseln, um sich abzustützen.
»Nein. Mir nicht. Mrs. Mallins … Hayley … Hören Sie, es tut mir wirklich Leid. Es hat ein Missverständnis gegeben.«
»Was für ein Missverständnis?«
Amanda atmet tief ein und bringt die Worte widerwillig über ihre Lippen. »Ich bin nicht von der Staatsanwaltschaft.«
»Sie sind keine Anwältin?«
»Ich bin schon Anwältin«, verbessert Amanda sie und ringt stumm mit sich, wie viele Informationen sie preisgeben soll. »Nur nicht bei der Staatsanwaltschaft.« Sie macht eine Pause und wartet, dass Hayley Mallins fragt, für wen sie verdammt noch mal dann arbeitet und was sie in ihrem Hotelzimmer verloren hat, doch solche Fragen bleiben aus.
»Ich arbeite für Ben Myers.«
»Ben Myers?«
»Der Anwalt von Gwen Price.«
Schlagartig weicht jede Farbe aus Hayley Mallins’ Gesicht. Sie sinkt auf den Stuhl, auf den sie sich gestützt hat, und klappt den Mund auf und zu, ohne dass ein Wort herauskommt. Wahrscheinlich kein guter Zeitpunkt, ihr zu erzählen, dass ich auch noch die Tochter der Frau bin, entscheidet Amanda, während sie auf der Kante des zwischen die beiden Ohrensessel geklemmten und mit goldenem Samt bezogenen Sofas sitzt und darauf wartet, dass Mrs. Mallins die Sprache wiederfindet, aufspringt und sie hinauswirft.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen könnte«, sagt Hayley Mallins nach langem Schweigen.
Amanda atmet ein weiteres Mal tief ein. »Wir versuchen zu rekonstruieren, was genau an jenem Nachmittag geschehen ist. Wenn Sie irgendwelche Informationen haben, die ein Licht auf die Sache …«
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen könnte«, wiederholt die Frau.
»Können Sie mir erzählen, was passiert ist?«, beharrt Amanda.
»Ich weiß nicht, was passiert ist. Bis auf das Offensichtliche – mein Mann wurde in der Lobby dieses Hotels erschossen.«
»Sie waren nicht bei ihm?«
Sie schüttelt den Kopf. »Die Kinder und ich waren hier oben und haben auf seine Rückkehr gewartet.«
»Woher ist er zurückgekommen?«
»Was?«
»Sie haben gesagt, dass Sie auf die Rückkehr Ihres Mannes gewartet haben. Und ich habe mich gefragt, wo er vorher war.«
»Warum? Inwiefern ist das relevant?«
»Ich versuche lediglich, Hintergrundinformationen zusammenzutragen, Mrs. Mallins. Ich habe mich gefragt, ob Sie aus einem bestimmten Grund nach Toronto gekommen sind.«
»Wir machen hier Urlaub.«
»Wie sind Sie ausgerechnet auf Toronto gekommen?«
»Das verstehe ich nicht.«
»Für diese Jahreszeit eine seltsame Wahl, meine ich bloß. Haben Sie hier Freunde?«
»Nein.« Sie zögert. »Mein Mann musste sich um geschäftliche Angelegenheiten kümmern.«
»Ach wirklich? Was für Geschäfte denn?«
»Das spielt doch keine Rolle. Warum stellen Sie mir all diese Fragen?«
»Ich verstehe, dass Sie Schreckliches durchgemacht haben, Mrs. Mallins. Hayley«, verbessert Amanda sich. »Ich versuche bloß zu begreifen, wie das passieren konnte und ob es irgendeine
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