Tanz, Pueppchen, Tanz
Wort sagte, wusste sie, dass es falsch war. Auch wenn man die Situation, in der sie und Ben sich unversehens getroffen hatten, durchaus als seltsam bezeichnen konnte, waren das eigentliche Wiedersehen und die Zeit, die sie gemeinsam verbrachten, das genaue Gegenteil. Die anfängliche Verlegenheit war einer entspannten Gelassenheit gewichen, die auf Vertrautheit und gegenseitigem Respekt basiert. Einfach ausgedrückt, fühlte es sich gut an, in Bens Nähe zu sein. Es fühlte sich an wie Zuhause, merkte sie. »Ich komme am Wochenende heim«, erklärte sie ihrer Sekretärin und wischte das unbehagliche Gefühl mit der Hand beiseite.
Was ist los mit mir, fragt Amanda sich nicht zum ersten Mal, schlägt die Augen auf, als sie nahende Schritte hört, und schließt sie gleich wieder, als sie sieht, dass der Mann, der sich auf dem anderen Ende der Bank niederlässt, nicht Ben ist. Was fantasierte sie über einen Mann, den sie vor acht Jahren verlassen hatte, schimpft sie mit sich, und der garantiert keine Gedanken an sie verschwendet. Nein, mein Herr. Er hat seine Kanzlei, seine Fälle und seine Jennifer. Heute Abend geht nicht, hat er ihre Essenseinladung ausgeschlagen, ohne sich die Mühe zu machen, eine Erklärung zu liefern. Und trotzdem war da etwas an der Art, wie er sie ansah … »Oh nein. Das lässt du schön bleiben.«
»Verzeihung?«, fragt der Mann am anderen Ende der Bank. »Reden Sie mit mir?«
»Was? Oh. Nein. Tut mir Leid.«
Der Mann nickt, und sein Kopf wippt, auch nachdem er sich abgewandt hat, weiter nervös auf und ab. Wenig später quetscht sich eine Frau in einer dicken Daunenjacke zwischen sie auf die Bank und sieht Amanda an. »Schöner Mantel«, sagt sie.
Amanda bedankt sich mit einem Lächeln und blickt auf die Uhr. Schon fünf vor neun, und Ben ist immer noch nicht da. Sie hätte ihn gestern Abend nach ihrer Rückkehr ins Hotel anrufen und ihm von dem Ausflug zu der Bank und ihrer schockierenden Entdeckung erzählen sollen. Warum hatte sie das nicht getan? Weil sie wusste, dass er wütend geworden wäre? Weil sie es versäumt hatte, ihm überhaupt von dem Schlüssel zu berichten? Weil sie ohne ihn zu der Bank gefahren war? Weil sie die Unterschrift ihrer Mutter gefälscht und sich mit falschen Angaben Zutritt zu ihrem Schließfach verschafft hatte? Weil sie Angst hatte, einen missbilligenden Unterton in seiner Stimme zu hören?
Oder weil sie Angst hatte, seine Stimme gar nicht zu hören?
Weil er für gestern Abend schon Pläne hatte, erinnert sie sich. Pläne, in denen sie keine Rolle spielte.
Hat sie ihn deswegen nicht angerufen?
»Was hat denn der Koffer zu bedeuten?«, fragt eine Stimme irgendwo über ihrem Kopf. Als Amanda die Augen öffnet, sieht sie Ben in einem dunkelgrauen Mantel über einem dunkelblauen Anzug, den Blick auf die Reisetasche vor ihren Füßen gerichtet. »Ich dachte, du wolltest bis zum Wochenende bleiben.«
Amanda rappelt sich unverzüglich auf die Füße. »Ich bin aus meinem Hotel geflogen. Du bist zu spät.«
»Tut mir Leid«, sagt er ohne weitere Erklärung. »Neuer Mantel?«
»Gefällt er dir?«
»Tolle Farbe.« Er nimmt ihre Reisetasche, fasst mit der anderen ihren Ellenbogen und führt sie den Flur hinunter.
»Deine Mutter ist in einer Wartezelle ein Stockwerk tiefer.«
Er weist auf eine Reihe von Türen am Ende des Korridors.
»In ein paar Minuten wird man sie diese Treppe heraufbringen.«
»Ich muss dir was erzählen, bevor wir sie treffen«, setzt Amanda an, als ein Mann mittleren Alters mit schütterem grauen Haar und sorgenvoll gefurchter Stirn an ihnen vorbeihastet.
»Sam«, ruft Ben ihm nach. »Alles in Ordnung?«
Der Mann schüttelt den Kopf und geht ein paar Schritte rückwärts, während er schon zu sprechen beginnt. »Allem Anschein nach ist mein geschätzter Mandant gestern Nacht ausgeflippt und hätte beinahe das arme Schwein umgebracht, das die Zelle mit ihm teilt. Der übliche Mist. Und bei dir?«
»Der übliche Mist«, bestätigt Ben und wendet sich wieder Amanda zu.
»Na, danke für das Kompliment.«
Seine Augen verschwinden beinahe zwischen den Lachfältchen, als er sie anstrahlt. »Was sagtest du noch?«
Amanda zögert. »Was meinst du, wo ich die nächsten paar Tage bleiben soll? Ich habe schon mehrere Hotels angerufen. Offenbar ist alles ausgebucht.«
»Ich sehe da kein Problem.«
»Nicht?«
»Ich würde sagen, die Lösung ist ziemlich offensichtlich.«
»Sag es mir.« Das Offensichtliche war noch nie meine Stärke,
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