Tanz, Pueppchen, Tanz
Hitze des Augusts wegbläst, irgendwann einmal genossen, und ja, irgendwann hat sie auch über einen unvermuteten Novembersturm gestaunt, der die Stadt in eine Decke aus feinem Schnee gehüllt hat, aber die Erfahrung hat sie gelehrt, dass kühle Brisen die hässliche Angewohnheit hatten, zu beißenden Winden zu werden, und reiner jungfräulicher Schnee allzu schnell zu schmutzigem Matsch verkam.
Nein, sie ist jetzt in Florida zu Hause und würde es auch nicht anders wollen. Florida hat alles, sagt Amanda sich, stellt die Reisetasche ab und dehnt ihre Nackenmuskeln, bevor sie sich die Tasche wieder umhängt und weiter die Straße hinuntergeht. Es gibt Sonne, die sie allerdings mit geradezu religiösem Eifer meidet; einen Ozean, auch wenn sie nur selten an den Strand und ganz bestimmt nicht im gefährlichen Meer schwimmt – man denke nur an Haie, Seeläuse und unsichtbare Strömungen, von Ölresten, die den Sand verschmutzen und einem die Fußsohlen einteeren ganz zu schweigen; Einkaufszentren, obwohl man dort die gleichen Läden findet wie überall und ein Laden genauso aussieht wie der andere – da kann das Eaton Center locker mithalten; und die Kultur – wie zum Beispiel im Kravis Center und im Royal Poincianna Playhouse – gut, Toronto hat ein Theaterleben, das nur von New York übertroffen wird, na und? Kunst – ja, es gibt die wundervolle Norton-Gallery, wirklich fantastische Ausstellungen und jede Menge charmanter kleiner Galerien, aber wenn sie noch einen Keramikfrosch sieht, könnte es sein, dass sie schreiend aus dem Laden rennt, denn, also wirklich, wie kann man so etwas »Kunst« nennen? »Was mache ich?«, fragt Amanda sich, und die Worte gleiten, Kindern auf einem Schlitten gleich, über ihre Lippen in die kalte Winterluft, sodass sie sie beinahe in ihrem beschlagenem Atem lesen kann. »Ich liebe Keramikfrösche.«
Außerdem:
Was es in Florida nicht gibt, ist ihre Mutter.
Was es in Florida auch nicht gibt, ist Ben.
Ist das nicht der Grund, warum sie überhaupt dorthin gezogen ist?
Amanda stapft weiter die Palmerston Avenue Richtung Harbord Street hinunter und fragt sich, warum sie sich von dem Taxifahrer nicht direkt vor dem Haus ihrer Mutter hat absetzen lassen. »Weil man manche Dinge langsam angehen muss«, brummt sie in ihren Mantelkragen. »Immer Schritt für Schritt, und nichts überstürzen«, flüstert sie und lächelt einem älteren Mann zu, der sich vorsichtig über den Bürgersteig tastet.
»Verdammter Winter«, knurrt der Mann im Vorbeigehen vernehmlich.
»Verdammt wahr«, stimmt Amanda ihm zu und marschiert weiter. Und Ben, ihre verdammte Mutter und die verdammte Jennifer sollten gleich mit verflucht sein. Wie war die Frau überhaupt drauf? Mit ihrer eleganten modischen Frisur und der makellosen Haut. Und dieser besitzergreifende Begrüßungskuss auf die Wange. Ganz zu schweigen von dem vollkommen überflüssigen Abschiedskuss auf den Mund, als wollte sie sagen, er gehört jetzt mir. Rufst du mich nachher an? Für wen war das bestimmt? Bestimmt nicht für Ben. Und seine Antwort? Auf jeden Fall. Ließ er sich wirklich so leicht täuschen? Erkannte er nicht, dass sich hinter Jennifers ruhiger und kompetenter äußerer Erscheinung eine – was? – ruhige und kompetente Frau verbarg? Na und? Wer brauchte ruhig und kompetent, wenn er auch kompetent und chaotisch haben konnte? Und mit wem hatte man mehr Spaß? Verdammt. Ben konnte nicht in diese Frau verliebt sein.
Aber genau das war er.
Amanda tritt gegen einen kleinen Schneehügel, der unter ihrem Fuß zerstäubt wie Babypuder. Und wenn er in Jennifer verliebt ist? Was kümmert sie das? Durch die Tatsache, dass sie einmal verheiratet waren – nur kurz, als sie noch viel zu jung waren und keine Ahnung hatten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten, geschweige denn, mit wem sie es verbringen wollten –, hat sie noch lange kein Gewohnheitsrecht auf seine Zuneigung. Außerdem ist sie an derlei Ansprüchen auch gar nicht interessiert. Sie fühlt sich bloß so – wie eigentlich? – wegen der Umstände. Sobald sie wieder in Florida ist, werden diese Empfindungen für ihren Ex-Mann – welche eigentlich? – verschwinden. Das alles – was eigentlich? – liegt nur daran, dass sie durcheinander und verwundbar ist und nicht an Männer gewöhnt, die Nein sagen. Du kannst nicht bei mir bleiben, Amanda, hatte er ihr erklärt. Aber es war durchaus möglich, dass er es sich gerade anders überlegen wollte. Vielleicht, hat er gesagt, als
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