Tanz unter Sternen
»Hat dein Mann endlich seine theologischen Flausen aufgegeben und einen anständigen Beruf ergriffen? Er ist jung genug, er kann noch Karriere machen. Gustav Schröter, zum Beispiel, aus dem Vorstand der Deutschen Bank, weißt du, was sein Vater war? Droschkenfahrer! Gustav hat sich von ganz unten hochgearbeitet, er hat als Lehrling einer Eisen warenhandlung angefangen. Der Mann hat Köpfchen. Und dein Matheus, der ist doch auch nicht dumm, warum sucht er sich nicht eine Arbeit?«
»Bitte, Vater, mach dich nicht wieder lustig über ihn.«
»Tue ich doch gar nicht. Hör mal! Mein Vater hat genauso Theologie studiert, bevor er die Bank gegründet hat. Matheus könnte bei mir im Büro anfangen. Ich habe dir dein Ausbüxen verziehen, ich bin gern bereit, euch auf die Beine zu helfen.«
Vater meinte es ernst. Natürlich würde Matheus niemals auf ein solches Angebot eingehen. Er würde sich erdrückt fühlen unter den übermächtigen Fittichen seines berühmten Schwiegervaters.
»Gerade ist eine Wohnung frei geworden in der Bellevuestraße, vierzehn Zimmer, elftausend Mark Jahresmiete. Das ist doch etwas Besseres als euer kleines Loch in Charlottenburg. Viele Kollegen von mir wohnen in der Bellevuestraße, ihr wärt gleich am Tiergarten, mitten im Grünen.«
»Ich muss dir etwas gestehen«, sagte sie.
»Ihr wollt nicht? Wenn deine jüngeren Geschwister in das Alter kommen, rede mit ihnen bloß nicht über die Ehe. Das arrangieren wir für sie. Ich will nicht, dass sie sich von deiner Unvernunft anstecken lassen.« Er schnaufte. »Was gibt es denn, was möchtest du mit mir besprechen?«
»Ein Mann hat mich nach dir ausgefragt, ein englischer Spion.«
Ludwig Delbrück lachte. »Da machst du so ein besorgtes Gesicht? Kind, ich bin von Spitzeln umgeben. Daran muss man sich gewöhnen, wenn man der Bankier des Kaisers ist und in vierzehn Aufsichtsräten der Industrie sitzt.«
»Er ist ein richtiger Agent, Vater. Kein Spitzel. Ich bin auf ihn reingefallen.«
»Dafür musst du dich nicht schämen, Cäcilie. Ich habe einfach mehr Übung. Ich erkenne die Parasiten schon von Weitem. Als mein Vater mit der Deutschen Bank Filialen in Yokohama und Schanghai eröffnet hat, war ich zwölf. Da hab ich die ersten Spitzel kennengelernt. Es gibt sie überall, das Geschmeiß hängt einem tagein, tagaus an den Waden. Sollen sie nur, die kleinen Blutsauger. Am Ende hauen wir drauf und zerquetschen sie zu Mus.«
»Er arbeitet für die englische Regierung. Und er hat mich gezwungen, ein Schriftstück zu unterschreiben, in dem ich mich zur Spionage für England verpflichte.«
Vater runzelte die Stirn. »Was wollte er von dir wissen?«
»Ob das Reich plant, ungedeckte Kriegsanleihen auszugeben.«
Er schwieg.
»Ich wollte das nicht unterschreiben.«
»Hast du ihm gesagt, dass wir ungedeckte Kriegsanleihen einplanen?«
»Nein. Das wusste ich ja nicht.«
Vater rief: »Hilde, es genügt. Gib Ruhe!«
Mutter hörte zu singen auf. Seit Cäcilie denken konnte, war jeder Vaters Wünschen gefolgt. Er war es gewöhnt, uneingeschränkt zu herrschen. Nichts und niemand durfte seine Autorität antas ten. Cäcilie fragte leise: »Worum geht es hier? Wo bin ich da reingeraten?«
»Es geht um den Krieg. Krieg wird mit Geld geführt. Die stärkere Wirtschaft gewinnt.«
»Ich dachte, es gewinnt derjenige, der das größere Heer und die größere Schiffsflotte hat.«
Ludwig Delbrück lächelte herablassend. »Und woher kommen die Schiffe? Die Gewehre, Stiefel, Säbel, Patronentaschen, Zelte? All das muss hergestellt und bezahlt werden. Viele denken wie du, weil das Geld unsichtbar bleibt. Sie vergessen es. Aber letztendlich ist es das Geld, das einen Krieg gewinnt.« Er stand auf und holte ein Buch aus dem Regal hinter ihm. Stumm legte er es Cäcilie vor. Finanzielle Kriegsbereitschaft und Kriegsführung stand auf dem Einband. Vater sagte: »Kriege werden in erster Linie mit kommerziellen Mitteln ausgefochten. Die Nationen ringen mithilfe ihrer industriellen Kraft um die Vorherrschaft. Natürlich, sie gebrauchen Säbel und Gewehre, aber eigentlich sind es die Kapitalmärkte, die gegeneinander aufrollen.«
»Und was nützt es den Engländern, wenn sie erfahren, welche Art von Kriegsanleihen das Reich plant?«
»Eine Menge! Jeder versucht, bis zum Losbrechen des Krieges so viel wie möglich aufzurüsten. Das bringt die Völker bis an den Ruin. In England und in Frankreich geben sie bereits ein Drittel des nationalen Budgets für die Rüstung
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