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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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beichte ihm. Dann bin ich für Lyman nutzlos geworden.«
    »Wird er nicht wütend sein?«
    »Wer, Lyman oder Vater?«
    »Lyman.«
    »Ich sage ihm, dass Vater mich durchschaut hat. Eine Spionin, die schlecht lügen kann, ist nicht zu gebrauchen.«
    »Das sagst du ihm ausgerechnet mit einer Lüge.« Matheus grinste.
    Ulrich, Vaters Chauffeur, war krumm und alt geworden. Sein Haar war nun vollständig weiß, und er saß tief über das Lenkrad gebeugt. Wie immer fuhr er souverän, man spürte die Erfahrung seiner Jahre hinter dem Steuer. Während manche Heißsporne durch Berlins Straßen rasten – obwohl die Höchstgeschwindigkeit von fünfundzwanzig Kilometern pro Stunde galt –, fuhr Ulrich eine konstante, ruhige Geschwindigkeit. Gemächlich steuerte er den Mercedes in die Einfahrt zur Villa. »Ich habe Sie lange nicht gefahren, Fräulein Singvogel.«
    Niemand nannte sie so, ihr neuer Nachname war den Eltern verhasst, sie nahmen ihn nicht in den Mund. Es tat ihr gut, dass Ulrich ihn, ohne zu zögern, über die Lippen brachte. »Sag doch weiter du zu mir«, bat sie.
    »Ganz wie du willst, Fräulein Singvogel.« Er lächelte in den Rückspiegel. »Du warst lange nicht da. Ich habe dich vermisst.«
    Sie lächelte zurück. »Wie ist Vater gelaunt?«
    »Habe ihn erst vor einer Stunde von der Börse abgeholt, er hat geschwiegen, wie immer.«
    Der Vater ging, seit sie denken konnte, jeden Tag zur Börse und traf dort die anderen Finanzgrößen. Diese Kollegen waren seine wahre Familie. Er sprach von ihnen wie von engen Verwandten. »Wie laufen die Geschäfte?«
    »Das kann ich dir leider nicht sagen. Ich weiß es nicht.« Ulrich hielt den Wagen an, stellte den Motor ab und stieg aus. Früher hatte er sich dafür nicht am Lenkrad abstützen müssen. Er öffnete Cäcilie den Schlag.
    Sie bedankte sich.
    »Wie lange bleibst du?«
    »Nur ein paar Stunden. Bringst du mich wieder zum Bahnhof?«
    »Selbstverständlich.« Er ging voran und öffnete ihr die Haustür.
    So viel hatte sie von ihrer Erziehung behalten: Eine Dame berührte niemals die Haustürklinke. Dafür waren Bedienstete da. Sie trat in die Eingangshalle und sah die breite Treppe hinauf. Die hohen Decken, die Fenster zum Park hinaus, die hellen Räume mit Stuck waren ein ungewohnter Anblick für sie geworden. An der Wand hing der Vater, in Öl gemalt, als riesiges Porträt.
    Sie musste an die Soireen denken, die Landpartien, die Tanzbälle. Dieser Teil ihres Lebens kam ihr im Rückblick wie ein Märchen vor. Vergiss nicht, sagte sie sich, du hast es nicht genossen, du warst damals fortwährend ärgerlich auf deinen Vater, und die Gespräche auf den Abendempfängen hast du als verlogenes oberflächliches Geplapper empfunden. Trotzdem versetzte ihr der Gedanke einen Stich. Ob sie es wollte oder nicht, sie sehnte sich nach einem Dinner mit seinen Gaumenfreuden, einem Dinner, für das sie sich schöne Kleider anzog und auf dem sie neugierige Blicke der Männer einfing.
    »Soll ich dich dem Herrn Bankdirektor melden?«
    »Bitte, ja, melde mich an.«
    Die Mutter sang im Musiksalon den Erlkönig , begleitet von ihrem Lehrer am Flügel. Es waren vertraute Klänge. Gleich fühlte sich Cäcilie wieder wie eine Heranwachsende. Aus dem Souterrain drang der Duft von Stärke und frischer Wäsche, hier ging es zu den Wasch- und Mangelkammern, dahinter zu den Zimmern des Chauffeurs, der Köchin, der Dienstmädchen und zum Aufenthaltsraum für das Personal. Und oben, ihr Zimmer? War es neu eingerichtet, oder hatten die Eltern es belassen, wie es zu der Zeit ausgesehen hatte, als sie noch darin wohnte? Ihr Bruder Albert, der viel jünger war als sie, hatte schon damals sein eigenes Kinderzimmer gehabt.
    Vater erschien auf der Treppe. »Cäcilie!« Er strahlte. »Ich erkenne dich kaum wieder, du wirst jedes Jahr schöner.« Mit einer Geschwindigkeit, die zu seinem dicken Bauch nicht recht passen wollte, polterte er die Treppe hinunter und nahm sie in den Arm. Als er ihr einen Kuss auf die Wange drückte, roch sie sein Rasierwasser, es war derselbe würzige Duft wie eh und je. Vater sagte: »Der Kaffeetisch ist noch nicht gedeckt, fürchte ich, aber vielleicht möchtest du –«
    »Ich würde dich gern allein sprechen«, sagte sie. »Unter vier Augen.«
    »Ich liebe Geheimnisse. Komm.« Er führte sie ins obere Stockwerk, in sein Büro. Auf einem der Sessel, die mit rotem Damast bezogen waren, nahm sie Platz. Er selbst setzte sich hinter seinen dunklen Schreibtisch aus Palisanderholz.

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