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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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aus, im russischen Zarenreich genauso. Das sind immense Summen.«
    »Rüsten wir genauso auf?«, fragte Cäcilie.
    »Selbstverständlich. Wir versuchen zum Beispiel, eine Flotte zu bauen, die so stark ist, dass die Royal Navy sie nicht angreifen kann.«
    »Angreifen kann sie doch immer.«
    »Ja, aber England muss nach der Schlacht noch genug Schiffe übrig haben, um seine Insel zu verteidigen. Selbst wenn sie gegen uns gewinnen, haben sie verloren, sobald ihnen eine zu kleine Zahl an Schiffen bleibt. Wir sind nicht ihr einziger Feind. Ist die Flotte hinüber, sind beide wehrlos, Mutter England und ihre wichtigste Kolonie, Indien.«
    »Was hat das mit unseren Anleihen zu tun?«
    »Niemand weiß, wann der Krieg losbricht. Es ist schon eine Menge Druck im Topf. Irgendwann geht der Deckel hoch. Bis dahin rüsten die Staaten um die Wette, damit sie bei Kriegsbeginn das stärkste Heer haben. Wir planen heimlich, uns einen Vorsprung bei der Aufrüstung zu holen, indem wir ungedeckte Kriegsanleihen ausgeben. Das sind Anleihen, die wir nur mit Beutegut zurückzahlen könnten, also nur im Fall, dass wir den Krieg gewinnen. Es ist ein Wagnis. Verstehst du?«
    Sie nickte. »Was können die Engländer uns antun, wenn sie das wissen?«
    »Unser Finanzsystem ist ein empfindliches Gebilde. Sie könnten versuchen, uns in eine Inflation zu stürzen. In den letzten sechs Jahren haben wir Staatsanleihen in Höhe von mehr als vier Milliarden Mark ausgegeben, ihre Kurse sinken beständig. Das Ganze ist jetzt schon eine knappe Angelegenheit. Die Briten könnten –« Er unterbrach sich. »Nein, Cäcilie. Ich habe längst zu viel gesagt.«
    »Das geht mich auch alles nichts an.« Cäcilie war verwundert. Ihr Vater nahm sie ernster als früher. Lag es daran, dass sie von Zuhause ausgezogen war? Vor acht Jahren, als sie noch unter seinem Dach gelebt hatte, hätte er sich niemals dazu herabgelassen, ihr das Wirken der Finanzmärkte zu erklären. Ihr Interesse schien ihm zu schmeicheln, so dass er zu einer weiteren Erläuterung ansetzte.
    »Du musst dir klarmachen, wir stehen auf dünnem Eis, Kind. Vor fünf Wochen wurden die neuen Wehr- und Deckungsvorlagen beschlossen. Jetzt wollen sie vierzig Linienschiffe, zwanzig große Kreuzer und vierzig kleine Kreuzer haben, dazu die Geschwader von Unterseebooten und Torpedobooten, außerdem soll es zwei neue Armeekorps geben. Das sind Mehrausgaben von sechshundertfünfzig Millionen Mark. Mit einer mickrigen Branntweinverbrauchsabgabe werden wir das nicht bezahlen können. Es wird weitere Staatsanleihen geben, außerdem verwenden sie die Millionen, die eigentlich zur Schuldentilgung eingeplant waren. Erin nerst du dich daran, wie oft man früher die Goldmark in die Hand bekam? Als du noch klein warst?«
    Sie erinnerte sich. In ihrer Kindheit waren Goldmünzen häufig gewesen, und die Silbermark. Geldscheine gab es damals kaum. »Ja«, sagte sie.
    »Vor drei Jahren haben wir die Banknoten zum offiziellen Zahlungsmittel ernannt, aus einem einzigen Grund: Damit wir im Krieg rasch die Geldmenge vergrößern können. Wir drucken immer mehr davon, jetzt schon. Wenn wir nicht aufpassen, ist das Papiergeld bald nichts mehr wert. Die Staatsanleihen belasten den Kapitalmarkt zusätzlich, sie machen die Lage noch schlimmer.«
    Sie nahm einen tiefen Atemzug. »Ich habe mir überlegt, dass ich ihm sage, ich wollte dich aushorchen, aber du hättest mich durchschaut. Dann bin ich für ihn nutzlos.«
    »Das ist meine Tochter.« Er schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Gescheit und gerissen!«
    »Meinst du, es wird funktionieren?«
    »Natürlich wird es das. Ich weiß, wie der Hase läuft. Und das Gute ist, so müssen wir nicht die Polizei einschalten.«
    »Wegen meiner Unterschrift, damit ich nicht vor Gericht komme?«
    »Das, und dann ist Jagow, der Polizeipräsident, nicht gerade gut auf mich zu sprechen. Er hat sich heute beim preußischen Handelsminister beschwert, ich würde Steuern hinterziehen.«
    Die Mutter erschien in der Tür. »Cäcilie, Kind! Wie geht es dem kleinen Samuel?«
    »Gut«, log sie.

31
    Heimgekehrt, stand Cäcilie lange vor Samuels Tür. Sie brachte es nicht fertig, in sein Zimmer zu gehen. Die Spielsachen zu sehen, schlimmer noch, seine Socken und Hemden und Hosen, würde ihr das Herz brechen. Konnten sie das Zimmer nicht einfach so belassen? Vielleicht würde sie wieder schwanger werden, und sie bekamen erneut einen Jungen. Dann konnte er das Spielzeug seines älteren Bruders

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