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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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bezahlt, und jetzt haben wir keinen Dollar mehr für einen Liegestuhl? Das ist absurd.« Wann hatte ihre Liebe angefangen, sich aufzulösen? Als er ihr jeden Morgen seine Träume erzählte, unwichtiges, wirres Zeug in einer ermüdenden Ausführlichkeit? Als sie anfingen sich zu streiten, und kein Quäntchen Güte mehr da war, um nachgeben zu können um der Liebe willen? Auch jetzt konnte sie nicht nachgeben, sie ärgerte sich über seine Engstirnigkeit und seinen Geiz. »Wäre es dir lieber, wenn ich ein Morse-Telegramm an Vater schicke, für drei Dollar die ersten zehn Wörter und fünfunddreißig Cent jedes weitere? Ich bin bescheiden, ich habe mich mit einer Postkarte begnügt! Wir machen eine tolle Reise, Matheus, warum kannst du sie nicht auskosten?«
    »Die Reise ist ein übermütiges Abenteuer, ich dachte, dass du dich darüber freust. Aber nein, jetzt muss es noch mehr Luxus sein. Du bekommst nie genug, nie. Kannst du nicht einmal zufrieden sein?« Er zog die Brieftasche heraus. »Da, gib den Rest aus, wenn es dich glücklich macht.« Er warf sie zu Boden und ging.

11
    Die Hügel von Irland legten ein grünes Band über den Ozean, sie spielten mit dem Blau. Nie zuvor hatte Nele Natur in solcher Schönheit gesehen. Segelboote zogen vorüber. Die Titanic drehte bei und steuerte auf die Hügel zu. Obwohl sie noch draußen auf dem Meer waren, meinte sie, den Duft von Wiesenblumen zu riechen.
    In den letzten Stunden war sie sich nicht immer sicher gewesen, ob es der richtige Entschluss gewesen war, nach Amerika auszuwan dern. Angebrannte Brotsuppe wurde nicht besser davon, wenn man mehr Schwarzbrot hineinrieb, nicht mal teure Butter half da weiter oder zerquirltes Eigelb, verbrannt war verbrannt, es wurde nur mehr durch das Hinzufügen, nicht besser . Ihre Flucht ins Ausland war gescheitert. Aber anstatt umzukehren und in Berlin als Fischverkäuferin einen Neuanfang zu machen, floh sie noch weiter fort. Waren ihre Chancen in Amerika denn größer, brauchte man sie dort als Tänzerin? Sie wusste so wenig über diesen Kontinent. Und sie hatte umgerechnet achtundzwanzig Mark für ein Ticket dritter Klasse ausgegeben, um es herauszufinden, die gesamte Summe, die ihr der gütige alte Artist geschenkt hatte.
    Der Anblick der irischen Küste besänftigte sie.
    Es musste bald Mittagessen geben. Sie sehnte sich nach Mutters Zwetschgenklößen und der süßen braunen Soße aus Zucker und zerlassener Butter.
    Auf dem Promenadendeck der dritten Klasse ging es hoch her. Die Passagiere aus Syrien, Kroatien, Italien hatten viele kleine Kinder bei sich, auch Säuglinge. Aus Gesten und kargen Wortbrocken hatte sie erfahren, dass manche von ihnen seit Tagen unterwegs waren, über das Mittelmeer nach Marseille, dann mit dem Zug bis Paris und mit einem weiteren Zug nach Cherbourg. Die Reisestrapazen hatten ihnen aber nicht ihre Fröhlichkeit geraubt. Kinder spielten mit ihren Kreiseln an Deck, peitschten sie, bis sie sich lustig drehten; Erwachsene zeigten sich die irischen Hügel und plauderten angeregt.
    Jetzt rasselten die Ankerketten hinab. Offenbar fuhr die Titanic auch hier nicht in den Hafen, er war zu klein für sie. Vom grünen Ufer aus kamen Schiffe auf sie zu, zwei Schaufelraddampfer und etliche kleine Boote, wie ein Schwarm von Piraten, die den großen Koloss entern wollten.
    Sie stimmte an: Weißt du wie viel Sternlein stehen /An dem blauen Himmelszelt? Sie hatte sich beschützt gefühlt, wenn Mutter dieses Lied sang, es hatte sie getröstet, vor allem, nachdem Carl sie verprügelt hatte, Carl, der betrunken die Treppe heraufgepoltert kam und herumbrüllte und immer nur einen Grund suchte, Nele zu bestrafen. Das Lied war ihr Trost gewesen, ihr Schutzzauber. Sie hatte sich in Mutters Arme verkrochen und geduldig darauf gewartet, bis das Lied ihre wunde Kinderseele geheilt hatte.
    Der Deutsche schaute schon wieder zu ihr herüber. Bei ihm waren seine Frau und sein Sohn, sie hatte die Familie in Cherbourg auf dem Weg vom Zug zu den Tendern beobachtet. Warum sah er sie so an? Weinte er? Er wischte sich mit einem Taschentuch über die Wangen. Ihren Blick musste er bemerkt haben, er sah zu Boden. Blickte wieder auf. Ein Ruck ging durch ihn, als habe er einen Entschluss gefasst, er passierte die schmale Pforte, die das Promenadendeck der zweiten Klasse abtrennte, und kam zu ihr. »Excuse me« , sagte er, »I just …«
    »Sie können Deutsch mit mir reden«, unterbrach sie ihn.
    Er wurde rot. »Also doch. Sie haben gerade ein

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