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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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deutsches Lied gesungen, ich war mir nicht sicher.« Tatsächlich stand Wasser in seinen Augen. Er musste geweint haben. »Es ist mir peinlich, aber darf ich Ihren Namen erfahren? Ich möchte Sie wirklich nicht belästigen.« Er nahm den Hut ab, Wind fuhr ihm in die Haare. Sie stell ten sich wüst auf, ungekämmte Haare wie von einem Schuljungen.
    »Ich bin Nele.«
    »Matheus Singvogel. Sie müssen verzeihen, ich spreche für gewöhnlich keine Frauen an, es ist … Ich weiß nicht, warum ich das gerade tue.«
    »Dass Sie mich ansprechen, stört mich nicht. Schlimm finde ich, dass Sie mich seit ’ner guten Stunde anstarren.«
    Er fuhr zusammen. »Das … Ich …«
    »Schon gut. Haben Sie sich mit Ihrer Frau gestritten?«
    »Woher wissen Sie das?«
    Nun konnte sie nicht anders, als zu lächeln. Wie ein schüchterner Junge stand er da, hilflos und doch offensichtlich verknallt in sie. »War nicht schwer zu erraten. Gehen Sie mal zurück zu ihr, versöhnen Sie sich.«
    Die Schaufelraddampfer tuckerten immer näher heran, deutlich konnte sie ihre Namen lesen: Ireland, America. Sie brachten wohl irische Passagiere. Die kleineren Boote drängten sich an die Dampfer heran, und Händler diskutierten mit den Schiffsoffizieren, sie hielten Geschirr hoch, irische Spitze, feine Hemden. Einige wurden an Bord gelassen.
    Ein Raunen ging durch die Auswanderer auf dem Promenadendeck, sie wandten sich von der Reling ab und blickten nach oben. Nele folgte ihrem Blick. Ein Heizer, über und über von Kohlenstaub bedeckt, war im vierten Schornstein nach oben geklettert. Er schaute aus ihm heraus und spähte nach Irland hinüber.
    »Was soll das?«, wunderte sich Matheus Singvogel.
    »Vielleicht kommt er von hier und guckt sich seine Heimat an«, sagte sie. »Auf jeden Fall hat er den besten Ausblick von da oben.«
    Ein Schiffsoffizier rief einen wütenden Befehl. Da erst schien der Heizer die Aufmerksamkeit der Passagiere zu bemerken. Rasch zog er sich wieder in den Schornstein zurück.
    »Das ist offensichtlich nicht erlaubt.«
    Nele rollte die Augen. »Sind Sie Polizist oder so was?«
    Ein Horn spielte. Matheus Singvogel sagte: »Es gibt Mittagessen. Ich sollte meinen Sohn von der Bibliothek abholen.« Er sah Nele an, vor Scham wurde sein Hals fleckig. »Leben Sie wohl. Und Verzeihung noch mal, ich weiß nicht, was mich … Also, ich hätte nicht …«
    Dramatisch wie eine Schauspielerin im Stummfilm legte sie sich den Handrücken an die Stirn und tänzelte Rückwärtsschritte. »Leben Sie wohl, Herr Singvogel.« Sie wischte sich eine gespielte Träne aus dem Augenwinkel.
    Er nickte und wandte sich ab.
    Was für ein verrückter Kerl, höflich und verkrampft. Trotzdem tat es ihr gut, dass sie ihm aufgefallen war. Vielleicht würde sie doch eines Tages einen Mann finden, der zu ihr passte.
    Hunderte von Möwen stürzten sich kreischend auf die Küchenabfälle der Titanic, die aus einer Luke ins Meer platschten. Die Möwen stritten, sie fuhren auf und segelten große Bögen.
    Die Krankenstation beruhigte Matheus nicht, sie steigerte sein Unwohlsein nur noch. Die Schränke mit weißen Stahltüren ließen den Untersuchungsraum kühl wirken, und der Medikamentengeruch signalisierte: Du bist krank.
    In Regalen standen Fläschchen aus dunklem Glas und auch einige aus Porzellan. Eine Waage war da und Metallkästen, deren Verwendung er nicht ergründen konnte. Womöglich würde er lange Zeit hier verbringen, vielleicht ließen sie ihn nicht einmal nach Amerika hinein, er hatte gehört, dass nur Gesunde ins Land durften.
    Er spürte ein Zucken im rechten Oberarm. Da. Es ging los. Der Körper leitete den Sterbeprozess ein. Matheus Singvogel starb während der Schiffsreise in die Vereinigten Staaten von Amerika, würde der Gemeindeälteste im Gottesdienst ansagen, und alle, die an seiner Krankheit gezweifelt hatten, würden sich schämen. Andere würden sagen: Er hat es gewusst. Irgendwie wusste er, dass er schwer krank ist.
    Was passierte mit seinen Predigtunterlagen? Und seine armen alten Eltern, wer sollte es denen beibringen, ihr Sohn war vor ihnen gestorben! Vater hatte bereits so gelitten, als letztes Jahr einer der Gäule gestorben war, die früher seine Bierkutsche gezogen hatten.
    Für Cäcilie blieb nicht viel zum Leben übrig, das meiste hatten sie für die Reise ausgegeben. Er stellte sich vor, wie sie jeden Abend heimlich weinte, weil sie sich nach ihm, Matheus, sehnte. Wie sie alte Fotografien ansah, Erinnerungen heraufbeschwor und

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