Tanz unter Sternen
sagte: »Danke.« Als er auf dem Ding kaute, wurde es allmählich süßer, und der scharfe Geschmack verlor sich.
Adam übersetzte: »Er sagt, in seiner Heimat lieben sie das.«
Samuel fragte leise: »Können wir gehen?«
Sie verabschiedeten sich. Kaum waren sie draußen, sagte Adam: »Du bist Gold wert, Junge.«
»Haben Sie ihn beklaut?«
»Hab’s wieder hingelegt, als er mit dir beschäftigt war. Zu riskant.«
»Und er war nett zu uns. Sie sollten nicht mehr stehlen.«
»Vergiss den Kaugummimann. Es gibt hier ganz andere Reiche. Was ich denen wegnehme, gehört ihnen gar nicht.« Sie gingen weiter den Flur hinunter.
»Wie meinen Sie das?«
»Ist alles uns Armen abgepresst. Ich hole es nur zurück. Denkst du, die arbeiten redlich und haben sich ihren Luxus verdient? Unsinn. Wir werden nie reich wie sie, selbst wenn wir tausend Jahre arbeiten. Ihr Geld gibt ihnen die Macht, uns unser Geld wegzunehmen und noch reicher zu werden. Was arbeitet dein Vater?«
Samuel zögerte. »Das darf ich nicht sagen.«
»Das darfst du nicht? Ist er am Ende ein Gauner wie ich?«
»Nein.«
»Du bist mir ein lustiger Kerl.« Er blieb stehen und klopfte. E43 stand an der Tür. Als nichts zu hören war, sagte er: »Sehr gut. Pass schön auf, Samuel. Der alte Knauser ist nicht so nett wie unser Kaugummivertreter. Gib mir sofort Bescheid, wenn jemand kommt.«
»Welcher alte Knauser?«
»Das ist die Kabine von Englehart Ostby, einem Schmuckhändler. Reist mit seiner Tochter Helene und einem Beutel voll Edelsteinen, die er in Paris gekauft hat. Wahrscheinlich hat er das Beutelchen beim Zahlmeister für den Tresor abgegeben.«
»Warum brechen Sie dann ein bei ihm, wenn es doch nicht da ist?«
»Sie haben anderen Schmuck in der Kabine, darauf kannst du deine Seele wetten.« Adam grinste. »Helene muss sich schließlich hübsch machen für die Mahlzeiten.« Er stocherte mit seinen Eisen häkchen im Schloss. Lautlos verschwand er in der Kabine.
Samuel schluckte den Kaugummi hinunter und starrte nervös in den Korridor.
Die Postkarte gefiel ihr: Neben der Titanic war darauf ein winziges Segelschiff abgebildet, der Vergleich würde Vater beeindrucken. Und nicht nur ihn. Cäcilie nahm eine weitere aus dem Ständer, für ihren Onkel.
Es duftete nach Seifenschaum. Der Friseur, der die Postkarten verkaufte, pinselte einen Herrn ein, um ihn zu rasieren. Cäcilie sah sich die Briefbeschwerer und die roten Wimpel an. Jeder trug das Emblem der White Star Line, den weißen Stern.
Aber alles Ablenken half nichts. Innerlich stachen sie glühende Nadeln, ständig dachte sie daran, wie Lyman Tundale diese Frau umarmt hatte. Tröstete er sich mit ihr, weil sie, Cäcilie, ihn abgewiesen hatte? Aber was suchte er dann auf der Titanic?
Cäcilie legte den marmornen Briefbeschwerer zurück, den sie in der Hand gewogen hatte.
»Gehen wir weiter«, sagte Matheus.
»Augenblick, ich will noch diese Postkarten kaufen.«
Sein Blick wurde unwillig. »Muss das sein?«
»Wenigstens eine, für Vater. Er soll sehen, dass man auch dann was erleben kann, wenn man nicht so reich ist wie er.«
»Wir haben bereits unser Konto geplündert. Jetzt willst du noch den Rest auf den Kopf hauen, um zu protzen? Vergiss nicht, wir müssen in Amerika ein Zugticket kaufen, übernachten, essen …«
»Das kriegst du doch alles erstattet. Ich kaufe bloß eine läppische Postkarte! Matheus, du bist unmöglich.«
Auf seinen Wangen traten die Kiefermuskeln hervor. »Siehst du nicht, was sich hinter der glänzenden Fassade verbirgt auf diesem Schiff? Geldgier. Alles kostet Geld, das Benutzen der Sporthalle, die Liegestühle an Deck, die Getränke.«
»Die Liegestühle kosten einen Dollar für die gesamte Fahrt, und man bekommt eine warme Decke dazu, das ist wirklich nicht zu viel verlangt.«
»Aber wir haben die Fahrt schon bezahlt! Und sie verlangen für jede Kleinigkeit wieder etwas.«
Der Friseur sah herüber. Sogar sein Kunde drehte sich nach ihnen um.
Matheus zog Cäcilie beiseite. Er zischte: »Ich weiß, was in dir vorgeht. Du siehst neidisch in Richtung der ersten Klasse.«
»Darum geht es überhaupt nicht«, widersprach sie. »Mich ärgert, dass du nichts genießen kannst. Das war schon zu Hause so. Warum habt ihr Ärmeren nur immer ein solches Problem mit dem Genießen?«
»Weil es Geld kostet, das wir nicht haben.«
»Unsinn. Auch wenn man arm ist, hat man Dinge, die man auskosten kann. Wir haben für die Überfahrt nach Amerika dreihundertvierzig Mark
Weitere Kostenlose Bücher