Tanz unter Sternen
gewartet, dass ich versuche, von Bord zu gehen.«
»Ich hab noch alles. Gut versteckt.«
Adam nickte anerkennend. Er steckte sich zwei weitere Kekse in den Mund. »Du bist besser, als ich dachte. Wie war dein Name nochmal? Samuel?«
»Ja, Samuel.«
»In New York ist viel los, da bringe ich das Zeug unbemerkt an Land. Hilfst du mir bis dahin, an Essen ranzukommen?«
»Ich versuch’s. Vielleicht kann ich bei den Mahlzeiten etwas mitnehmen, vom Obst auf jeden Fall und eine Scheibe Brot oder so.«
»Wo sind die Sachen eigentlich?«, fragte Adam. »Die Uhr, der Zigarrencutter, die goldene Streichholzschachtel?«
»Unten im Schiff bei den großen Öfen. Ich hab sie hinter den zweiten Ofen gelegt und mit Kohlenstaub bedeckt. Da ist es so heiß, da geht keiner hin.«
»Du bist wirklich gut.«
Sie sahen schweigend auf das Meer hinaus. Adam kaute Kekse. Neben ihm fühlte sich Samuel beinahe erwachsen. Natürlich, der Mann war ein Dieb. Aber er akzeptierte Samuel, er redete mit ihm wie mit einem Ebenbürtigen und bat ihn sogar um Hilfe. Die gesamte Beute hatte er ihm anvertraut. Und er, Samuel, hatte Adam nicht enttäuscht, es war ihm gelungen, sie in Sicherheit zu bringen. Sie beide konnten sich aufeinander verlassen. »Sind wir Freunde?«, fragte er. Seine Stimme hörte sich piepsig an, wie von einem kleinen Kind. Es ärgerte ihn. Er war kein kleines Kind mehr, hier, auf dem Schiff, war er gewachsen.
Adam sah ihn an. »Ich bin kein guter Freund für dich, Kleiner.«
»Doch, ich finde, das sind Sie.«
Adam lächelte. »Ich mag dich, Junge. Aber glaub mir, du möchtest mich nicht zum Freund haben.«
»Warum nicht?«
»Ich bin unzuverlässig und eigennützig. Ich kümmere mich nur um mich selbst. War schon immer so.«
Sie schwiegen wieder.
»Meine Eltern streiten sich«, sagte Samuel. »Sie merken nicht, wie gut sie es haben, das Meer und das tolle Schiff sehen sie überhaupt nicht. Mutter lügt Vater an, und Vater schleicht ihr nach. Sie denken, dass ich es nicht merke.«
»Warum erzählst du mir das?«
»Weiß nicht.«
»Hast du Angst, dass sie sich scheiden lassen?«
»Wenn man verheiratet ist, bleibt man zusammen, bis man stirbt.«
»Nicht unbedingt. Es kommt langsam in Mode, sich scheiden zu lassen.«
»Meine Eltern machen das nicht. Papa ist Pastor, und Mama hat keinen Beruf gelernt, wovon soll sie leben, wenn sie allein ist?«
»Sie kann sich einen reichen Mann angeln.«
Tatsächlich. Das konnte sie. Mutter war früher bei den Reichen beliebt gewesen. Bestimmt erinnerte sich noch jemand an sie. »Meine Eltern sollen zusammenbleiben und sich wieder liebhaben.«
»Das hast du nicht in der Hand. Sie müssen es allein hinkriegen.« Adam schüttete die Tüte aus, die restlichen Krümel fielen ins Meer. Er zerriss die Tüte, faltete, rollte und kniff, bog und falzte und hielt Samuel eine Rose aus Papier entgegen. »Das könntest du deiner Mutter aufs Kissen legen. Vielleicht denkt sie, die Blume kommt von deinem Vater.«
Samuel staunte die Rose an. »Wie haben Sie das gemacht?« Er nahm sie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte sie. »Die ist wunderschön!«
»Erhoffe dir aber nicht zu viel. Wie gesagt, im Grunde müssen’s deine Eltern selbst hinbekommen.«
Jemand klopfte an der Kabinentür. Cäcilie würde nicht anklopfen, sie würde einfach hereinkommen. Holten sie ihn, damit er als Zeuge gegen Nele aussagte? Ihm war unwohl bei dem Gedanken. Er hatte der jungen Frau das Leben zerstört. Als Seelsorger wäre es seine Aufgabe gewesen, ihr Gewissen zu wecken, und nicht, sie bloßzustellen.
Er öffnete.
Nele stand da. Ihre grünen Augen blitzten vor Wut. »Für wen halten Sie sich eigentlich?«, fuhr sie ihn an. »Für den lieben Gott?«
»Es tut mir leid.« Der ganze Flur hörte mit. »Wollen Sie reinkommen?«
Während sie die Kabine betrat, schimpfte sie weiter. »Die haben mich auseinandergenommen wie einen Verbrecher. Wegen einer Uhr! Waren Sie in der Schule schon der Streber, oder haben Sie erst später als Petze Karriere gemacht?«
Du meine Güte! Diese Frau besaß eine spitze Zunge. »Ich wollte Ihnen keinen Ärger machen. Aber Sie müssen doch zugeben, dass Sie mich dazu herausgefordert haben. Warum konnten Sie die Uhr nicht einfach zurücklegen?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«
»Habe beim Purser nachgefragt.« Sie schritt durch die Kabine, besah die Betten und den Mahagonischrank mit dem Waschbecken. »Schön haben Sie’s
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