Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
Vom Netzwerk:
hier in der zweiten Klasse. Das wird nicht lange so ordentlich bleiben. Irgendwie muss ich es Ihnen heimzahlen.«
    »Das heißt, Sie werfen jetzt alles zu Boden, um mich zu bestrafen, oder wie?«
    Sie drehte sich um und sah ihm in die Augen. »Ich bin keine Diebin. Hab noch nie gestohlen, na ja, bis auf einmal, vor ein paar Tagen. Aber das glauben die mir nicht. Ich bin in Tränen ausgebrochen, um den Master-at-Arms weichzukriegen, ich hab ihm geschworen, dass es nur ein Aussetzer gewesen ist. Er bleibt dabei, wenn wir in New York ankommen, will er den Vorfall der Polizei melden.«
    »Immerhin hat er Sie freigelassen.«
    »Pah! Was denken Sie, warum? Offenbar gibt es einen echten Dieb an Bord, ’ner Menge Leute fehlt was. Der Schiffsprofos denkt, ich wär das gewesen. Er kann es mir aber nicht nachweisen. Jetzt folgen mir seine Späher überallhin, weil sie hoffen, sie finden mein Beuteversteck.« Sie fuhr mit dem Finger an der Kante des Schranks entlang. »Die werden bald kommen und Ihre Kabine auf den Kopf stellen. Wahrscheinlich halten sie uns für Komplizen.«
    »Ich habe Sie angezeigt!«
    »Ein Streit zwischen Ganoven, was weiß ich. Warum müssen Sie so furchtbar moralisch sein?«
    »Ich bin kein Polizist, wenn Sie wieder darauf hinauswollen.«
    Sie wurde still und betrachtete ihn. »Sie haben eine gute Stimme, wie ein Theaterschauspieler. So ein schmächtiger Körper und darin diese Stimme.«
    »Warum stehlen Sie überhaupt? Stecken Sie in finanziellen Nöten?«
    »Wie ich schon sagte, das geht Sie nichts an.« Sie hob Samuels Socke vom Boden auf und legte sie auf das Bett.
    Er sagte: »Für Armut muss man sich nicht schämen. Durch meine Arbeit kenne ich viele arme Menschen, und ich hatte immer Verständnis für sie.«
    »Aber Ihrer Meinung nach sollen sie sich in ihr Schicksal fügen.«
    »Wenn die Alternative stehlen heißt, ja.«
    »Jetzt weiß ich’s. Sie sind Pfarrer.«
    Er riss die Augen auf. »Wie haben Sie das erraten?«
    »Richtig und falsch, gut und böse – das sind für Sie klare Dinge.«
    »Das ist ja nicht bloß meine Meinung. Die Bibel ist recht deutlich in solchen Fragen.«
    Sie seufzte. »Sie bilden sich also ein, mit Sicherheit zu wissen, was Gott liebt und was er verabscheut.«
    »So würde ich es nicht formulieren. Aber im Kern: ja.«
    »Tanzen Sie?«
    »Das wird Sie überraschen. Ich tanze tatsächlich, zumindest versuche ich es.«
    »Hätte ich nicht gedacht. Ich hätte vermutet, dass das Tanzen für Sie Sünde ist. Manche Leute finden ja sogar die unverhüllten Beine eines Klavierflügels unanständig.«
    Ihm kam der Gedanke, dass Cäcilie überrascht sein könnte, ihn hier mit Nele vorzufinden. Er warf ihr Untreue vor und fand selbst großen Gefallen daran, sich mit einer fremden jungen Frau zu unterhalten. Er sagte: »Sie klingen, als sei es Geschmackssache, was moralisch richtig und was falsch ist. Wenn ich Lust habe, kann ich also lügen, morden …«
    »Und Sie klingen, als hätten Sie alle Erkenntnisse in dieser Richtung für sich gepachtet, bloß weil Sie Christ sind. Mein Trinkervater gehörte zeitlebens zur Kirche. Aber es hat ihn nicht davon abgehalten, mich zu verprügeln. Wissen Sie, was mich anwidert? Dass Sie sich einbilden, moralisch überlegen zu sein, während Sie es nicht sind. Zum Beispiel starren Sie mich an – dabei sind Sie verheiratet! Dass ich Ihnen gefalle, ist keine Entschuldigung.«
    Das saß. »Bitte gehen Sie.«
    »Natürlich, werfen Sie die böse Frau raus. Das löst Ihre Probleme.«
    Er sah zu Boden. Die ungezügelte Wut in ihrer Stimme irritierte ihn.
    »Sie sind dermaßen selbstgerecht!« Sie verließ die Kabine und warf lautstark die Tür zu.

16
    Deine Zahnbürste ist trocken.« Vater trat ans Bett und sah ihm streng ins Gesicht. »Hast du mich angelogen?«
    Ihr lügt doch auch, dachte Samuel. Laut sagte er: »Ich bin bestimmt der einzige Junge auf dem ganzen Schiff, der die Zähne putzen muss!«
    »Unsinn.«
    »In meiner Klasse in Berlin putzt keiner die Zähne. Von den Jungs jedenfalls.«
    »Dann bekommst du Zahnfäule. Willst du, dass krank machende Bakterien in deinem Mund siedeln?«
    »Ist mir egal.«
    »Du putzt jetzt die Zähne. Steh auf!«
    Samuel quälte sich aus dem Bett. Er trat ans Waschbecken, befeuchtete seinen Finger, schraubte die Blechdose auf, die das Zahnpulver enthielt, und tunkte ihn hinein. Er steckte den Finger in den Mund und verteilte den Pulverbrei. Nachdem er sich die Hand abgespült hatte, nahm er die Zahnbürste und

Weitere Kostenlose Bücher