Tanz unter Sternen
Küsse hatte er ihr aus Liebe gegeben, keines seiner Komplimente war von Herzen gekommen – er hatte sie, Cäcilie, benutzt wie einen Stuhl, wie einen Topflappen. Endlich spürte sie wieder Kraft in den Gliedern.
Lyman sagte: »So ist es bei jedem, zuerst sträubt man sich dagegen. Aber du schadest keinem einzelnen Menschen, du arbeitest nur in der Politik mit, das tun viele. Meinst du, Deutschland hat keine Spione? Das Kaiserreich hat bei uns Hunderte eingeschleust, die unsere Kriegshäfen ausspionieren und unsere Regierung belauschen. So ist die moderne Welt!« Er trat zu ihr und legte ihr fürsorglich die Hand auf den Arm. »Tu es für deinen Sohn. Du versorgst ihn als gute Mutter, und deine Verwandtschaft musst du um keinen Pfennig bitten.«
Cäcilie sah sich am Potsdamer Bahnhof hocken und betteln, in Lumpen gekleidet. Spitzhelme würden sie anbrüllen, sich zu trollen. Samuel und sie müssten Wohnungen trocken wohnen, um Miete zu sparen. Die kalte, feuchte Luft würde ihm einen chronischen Keuchhusten verpassen, und sie würde miterleben, wie sein junges Leben verdarb. »Ich hasse dich!« Sie zog ihren Arm weg.
»Es wäre klug, wenn du mit mir zusammenarbeitest. Ich kann dich versorgen. So wie ich über unsere Agenten in den Vereinigten Staaten die Einladung für euch organisiert habe. Ich kann dir in Berlin Hilfe und Geld beschaffen.«
»Was muss ich tun?«, würgte sie heraus.
»Einen Vertrag unterzeichnen. Und einige Gespräche mit deinem Vater führen, über die du mich unterrichtest. Das ist alles.«
Tränen der Wut rannen ihr über die Wangen. »Was soll das bringen, was hast du davon?«
»Ich will erfahren, wie Deutschland seine Aushebungen und die Kriegsproduktion finanziert, welche Art von Kriegsanleihen sie planen. Hat er einmal darüber geredet?«
Cäcilie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Sie ließ sich in den Sessel sinken. Dieses Rauschen in ihrem Kopf! Häufig war es um den kommenden Krieg gegangen in letzter Zeit, sie hörte Vater sagen: »Das Deutsche Reich braucht Ruhe und Sicherheit. Und es muss seine Ehre hochhalten, wenn nötig, mit einem präventiven Angriffskrieg.«
Die Frau eines befreundeten Bankiers, die gerade zu Besuch gewesen war, hatte sich daraufhin vor ihren fünfjährigen Sohn gekniet und verzückt gesagt: »Wir machen einen General aus ihm!« Er trug sowieso schon Husarenuniform.
Hatte Vater etwas über die Finanzierung gesagt?
Lyman beugte sich vor und sah ihr forschend ins Gesicht. »Ich muss wissen, wie hoch er pokert. Plant er, ungedeckte Kriegsanleihen auszugeben, um sie im Fall eines Sieges mit dem Beutegut zurückzuzahlen? Riskiert er eine Inflation? Mehr erwarte ich nicht von dir, du sollst dich nur mit ihm unterhalten und mir davon erzählen.«
Mit vielem, was Vater tat, war sie nicht einverstanden. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihm gern in den Rücken fiel und seine Geheimnisse verriet.
»Denk an deinen Sohn. Und an Matheus. Vielleicht kommt er eines Tages zurück zu dir, wenn er sieht, wie gut du alles im Griff hast. Irgendwann wird er die Tänzerin leid sein und sich nach einem geordneten Leben zurücksehnen.«
»Ich kann es herausfinden, denke ich.«
Er reichte ihr einen Füllfederhalter mit goldener Feder und legte ein Dokument auf den Tisch. »Es ist alles vorbereitet.«
Sie hielt den Füller in der Hand und zögerte. Ich werde zur Verräterin an meiner Heimat, dachte sie.
Er sagte: »Manchmal muss man etwas Ungewöhnliches wagen, um Gutes zu erreichen.«
Für dich, Samuel. Für dich. Sie unterschrieb.
III MUT
III
Mut
22
Es war Abend, als sie zur Kabine zurückkehrte. Sie fühlte sich taub. Ihr Körper machte die nötigen Schritte, ihre Hand öffnete die Tür, und sie beobachtete sich selbst dabei, als stünde sie neben sich. Matheus lag im Bett und starrte an die Decke. Samuel schlief. Sie ließ die Tür angelehnt, um ein wenig Licht aus dem Flur zu haben.
»So geht es nicht weiter mit uns, Cäcilie.« Matheus setzte sich auf. »Wir richten uns zugrunde.«
Gleich sagt er es, dachte sie. Er sagt, dass es besser für uns beide ist, wenn wir uns trennen. Er sagt, dass er jemanden kennengelernt hat. Ich werde Lyman Tundale ausgeliefert sein, dem Wolf, der meine Schafskehle im Maul hat.
»Ich bin enttäuscht von dir und furchtbar verletzt«, sagte Matheus. »Aber wenn wir einen Neuanfang schaffen wollen, müssen wir bereit sein, alles hinter uns zu lassen. Es tut mir unendlich leid, dass ich dich geohrfeigt habe. Das
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