Tanz unter Sternen
verletzen, es genügte, der deutschen Spionageabwehr den Vertrag zuzuspielen, und schon landete sie im Gefängnis und sah ihren Sohn nie wieder. »Wir sollten flüstern«, sagte sie, »sonst wecken wir ihn.«
»Wir sollten überhaupt aufhören, uns zu streiten. Ich weiß, du empfindest nichts mehr für mich. Mir fällt es im Augenblick auch schwer, dich zu lieben. Aber das kann wiederkommen.«
Es verletzte sie, wie er das sagte. Wenn er sie nicht mehr liebte, was sollte dann der Kampf? Das Gefühl, ungewollt zu sein, raubte ihr das letzte Quäntchen Kraft. Sie wünschte sich weg von ihm. Während sie sich entkleidete, verspürte sie Scham und Abscheu. Heute wollte sie nicht nackt vor Matheus stehen.
Rasch legte sie sich ins Bett und deckte sich zu. Wie sollte das alles besser werden? Auswege gab es nicht. Ihre Ehe war zerrüttet, und sie hatte sich als englische Spionin verpflichtet. Eine Landesverräterin war sie, eine, die ihrem eigenen Vater in den Rücken fiel.
Das funkelnde Sternennetz beleuchtete das Meer. Lyman spähte zwischen zwei Rettungsbooten in die Nacht hinaus. Auf den Wogen nahe des Rumpfes spiegelte sich das Licht aus den Bullaugen, und eine helle Frauenstimme sang eine Opernarie, gedämpft durch die Schiffswand, dazu spielte ein Flügel. In weiter Entfernung sah er auf der Schwärze des Ozeans schimmerndes Eis.
Die sternenklare Kälte hatte alle Nachtschwärmer ins Schiffsinnere getrieben, sie brachte mit der Schönheit des Himmels auch gefrierenden Atem und schnitt wie mit Messerklingen ins Gesicht. Er mochte das, es half ihm dabei, hart und gefühllos zu sein. Die Enttäuschung, die er in Cäcilies Augen gesehen hatte, durfte ihn nicht berühren. Er brauchte diese Frau als Werkzeug, das war wichtiger als ihre Zuneigung zu ihm. Außerdem würde er trotzdem wieder mit ihr schlafen, sie war künftig von ihm abhängig, Frauen gefiel es, von einem Mann beherrscht zu werden.
»Was ist mit dem Bild aus dem Speisesaal?«, fragte der Fotograf.
Lyman sagte: »Das bringen Sie, selbstverständlich bringen Sie das. Verstehen Sie nicht? Ein Bild ist stärker als tausend Worte. Unter das Foto sollen die Redaktionen setzen: Deutsche auf der Titanic. Wir müssen zeigen, dass Großbritannien überlegen ist, so weit überlegen, dass sogar die Deutschen unsere Schiffe bevorzugen.«
»Und die Singvogel? Die wollten Sie doch anwerben. Sie ist auf dem Foto.«
»Das macht nichts. Es entkräftet den Verdacht, dass sie Spionin sein könnte, man wird sich denken, dass wir sonst kein Foto von ihr gemacht hätten. Wichtig ist nur, dass ich nicht zu sehen bin. Die Frau ist ein gutes Pfund. Wenn sie meine Vermutungen bestätigt, steuert das Deutsche Reich im Kriegsfall auf eine Inflation zu. Die können wir durch Falschgeld zusätzlich antreiben.«
»Steht’s denn wirklich so schlimm? Wir haben Frankreich und Russland an unserer Seite. Vielleicht muss es gar nicht zum Krieg kommen.«
»Mit den Deutschen kämpfen Österreich-Ungarn, Bulgarien und das Osmanische Reich. Und wir dürfen auf keinen Fall hinter die deutsche Kriegsmarine zurückfallen. Wenn man auf dem Land geschlagen wird, kann man innerhalb von Wochen eine neue Armee improvisieren. Eine neue Marine hingegen lässt sich nicht herbeizaubern. Nach einer verlorenen Seeschlacht die Marine wieder aufzubauen, dauert mindestens vier Jahre.«
Der Fotograf blies sich warme Luft in die Hände und rieb sie aneinander. »Warum machen Sie sich da Sorgen? Unsere neuen Schlachtschiffe pusten die Deutschen weg mit ihren Zwölf-Zoll-Geschützen!«
»Das Deutsche Reich baut längst ähnliche Schlachtkreuzer. Bleiben Sie bei Ihren Fotos. Sie haben keine Ahnung vom Krieg.«
»Ich vertraue unserem Ersten Lord der Admiralität.«
»Winston Churchill? Vergessen Sie ihn. Dem hängen die deutschen Spione seit Jahren wie Flöhe in der Wäsche.«
»Ach was!« Der Fotograf lachte. »Das sind Märchen, die sie in den Zeitungen bringen. Glauben Sie wirklich, dass es in England von deutschen Agenten wimmelt? Die verdächtigen doch inzwischen jeden Brieftaubenzüchter, weil die Tauben geheime Bot schaften über den Ärmelkanal bringen, und jeden Friseur, weil er mit den Kunden redet, und jeden Kellner, weil er seine Ohren überall hat … Und dann diese unsäglichen Romane, haben Sie die mal gelesen? Die Spione des Kaisers , oder, noch schlimmer, Die Invasion von 1910 . Das ist pure Angstmache.«
Lyman fuhr herum und packte den Fotografen an der Gurgel. »Halten Sie den Mund!« Er
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