Tao Te Puh
umspränge. So was von Schlauheit, würde I-Ah jetzt sagen, denn wie die Dinge liefen, verirrten sich durch Kaninchens Plan alle, auch Kaninchen selbst. Genauer gesagt: Alle außer Tiger. Tiger gehen nicht verloren, wie die Sache nun einmal steht, auch nicht im Nebel tief im Wald. Und das erwies sich als sehr nützlich.
Denn Puh und Ferkel fanden zwar nach einer Weile den Heimweg, aber. . .
„Wo ist denn Kaninchen?“
„Ich weiß nicht“, sagte Puh.
„Oh — na ja, Tiger wird es sicher finden. Er hält schon überall Ausschau nach euch.“
„Na dann“, meinte Puh, „ich muß jedenfalls wegen etwas nach Hause, und Ferkel auch, weil wir es bis jetzt noch nicht hatten, und —“
„Ich komme mit und sehe dir zu“, sagte Christoph Robin.
Also ging er mit Puh nach Hause und sah ihm ziemlich lange zu ... und die ganze Zeit, während er zusah, raste Tiger im Wald herum und brüllte nach Kaninchen. Und ein kleines Häufchen Elend von Kaninchen hörte ihn schließlich. Und dieses kleine Häufchen Elend von Kaninchen hetzte durch den Nebel auf den Lärm zu, und da war auf einmal Tiger — ein freundlicher Tiger, ein prächtiger Tiger, ein großer, hilfreicher Tiger, der zwar ein bißchen hin und her hüpfte und herumsprang, der aber so schön herumsprang, wie nur ein Tiger herumspringen kann.
„Ach, Tiger, bin ich. froh, dich zu sehen“, schluchzte Kaninchen.
Wann hat das häßliche Entlein in Andersens Märchen aufgehört, sich häßlich zu fühlen? Als es bemerkte, dass es ein Schwan war. In jedem von uns ist etwas Besonderes, so eine Art Schwan verborgen. Doch solange wir nicht erkennen, daß er da ist, was können wir da schon anderes machen als herumplanschen und Wasser treten? Wer weise ist, ist der, der er ist. Er tut das Seine und tut es so, wie es ihm möglich ist.
Es gibt auch Dinge an uns, die wir loswerden müssen; es gibt Dinge, die wir ändern müssen. Trotzdem brauchen wir nicht aufs Äußerste zu gehen, sollten wir nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen. Wenn man sich auf den Weg macht, um sinnvoll und glücklich zu leben, wandeln sich etliche dieser Eigenheiten allmählich ganz von selbst, und an den übrigen kann man vielleicht nach und nach etwas tun. Zuallererst müssen wir unser wahres Wesen erkennen und ihm vertrauen und es niemals aus den Augen verlieren. Denn im häßlichen Entlein steckt der Schwan und im herumspringenden Tiger der Retter, der den Weg weiß, und in jedem von uns steckt etwas Besonderes, das wir uns erhalten müssen.
Lange Zeit schauten sie schweigend auf den Fluß hinunter, und der Fluß schwieg auch, denn es herrschte Ruhe und Frieden an diesem Sommernachmittag.
„Tiger ist wirklich okay“, sagte Ferkel träge. „Aber sicher ist er das“, bestätigte Christoph Robin.
„Jeder ist okay“, ließ sich nun Puh vernehmen. „Finde ich jedenfalls“, fuhr er fort. „Aber vielleicht habe ich auch nicht recht“, schloß er dann.
„Aber sicher hast du das“, sagte Christoph Robin.
Der Puh-Weg
Als der Bach schließlich am Waldrand ankam, war er fast schon zum Fluß herangewachsen, und da er nun erwachsen war, lief und hüpfte und glitzerte er nicht mehr so wie vorher, als er noch jung war, sondern glitt ruhiger dahin. Denn jetzt wußte er ja, wohin es ging, und sagte sich: „Eile mit Weile. Wir werden schon eines Tages dort anlangen.“
Damit kommen wir zu dem, was als Wesenskern des lebendigen Taoismus bezeichnet werden könnte. Im Chinesischen wird es Wu Wei genannt. Es ist auch das Grundelement von Puhs Leben und Treiben. Bei uns hat es noch keinen bestimmten Namen. Wir finden jedoch, daß es an der Zeit ist, es endlich zur Kenntnis zu nehmen und beim Namen zu nennen, also nennen wir es den Puh- Weg.
Wörtlich übersetzt bedeutet Wu Wei: „ohne Tun, Ursache oder Verdienst“. Das heißt praktisch: ohne unnützen Eifer, falschen Ehrgeiz und eigenwillige Absichten vorzugehen. Es ist recht bezeichnend, daß sich das Schriftzeichen Wei aus den Symbolen für „greifende Hand“ und,, Affe“ herleitet und daß der Begriff Wu Wei daher auch Nicht-Angehen gegen die Natur der Dinge bedeutet: kein vorwitziges Eingreifen, kein Affentheater.
Wu Wei ist in seiner Wirkung wie Wasser, das bei seinem Lauf über die Steine und um die Felsen herumfließt — es wirkt nicht auf mechanische, gradlinige Weise, bei der letzten Endes meist die Naturgesetze übergangen werden, sondern auf eine Weise, die aus dem inneren Gespür für den
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