Tapas zum Abendbrot
Klappe zu halten hat.
Genau das fällt Florian manchmal schwer. Denn er redet gern. Einmal redete er ganze zehn Minuten lang, weil ihn keiner der umstehenden japanischen Freunde unterbrach. Dann hörte er auf, alle schauten ihn an â und wechselten schlieÃlich das Thema. Da war Florian klar, dass er den Bogen überspannt hatte. Unterbrochen hätte man ihn aber niemals. Es gilt die Regel: Jeder lässt jeden aussprechen, anschlieÃend gibt es eine kleine Pause, und erst dann ist der nächste an der Reihe. Zehn Minuten am Stück â so einen Fehler können nur Ausländer begehen.
Daneben gilt es, in Japan eine ganze Reihe von Sitten zu beachten: Niemals laut niesen, niemals vor anderen die Nase putzen, niemals öffentlich streiten, niemals öffentlich küssen. Niemals Nein sagen (damit stöÃt man sein Gegenüber vor den Kopf), niemals krank werden (damit stöÃt man die Kollegen vor den Kopf, die dann mehr arbeiten müssen), niemals die Essstäbchen senkrecht in den Reis stecken (damit stöÃt man die Toten vor den Kopf). Und das sind nur die Anfängerregeln.
Florian ist trotzdem der Meinung, dass seine Freundin es noch schwerer habe als er selbst, wenn er sie in Japan besucht. Denn: Als Ausländer merke man es ja oft gar nicht, wenn man sich danebenbenommen oder etwas Falsches gesagt hat. Und er gestehe sich einfach zu, ab und an auch mal Regeln brechen und Deutscher sein zu dürfen. »Ich weià zwar viel über Japan«, sagt er, »ich halte mich in einer Gruppe Japaner zurück, nehme Rücksicht auf alle. Aber Sakura muss es einfach aushalten, dass ich trotzdem hin und wieder in Fettnäpfchen tappen werde.« So wie neulich, als er im falschen Moment nickte.
Damals spazierten Sakura und Florian durch Tokio, und irgendwann hatte Florian die Idee, noch ein paar »Meronpan« zu kaufen, Melonenbrötchen. Die beiden betraten eine Bäckerei. Der Verkäufer stellte nun einige Fragen, irgendetwas mit einpacken und Tüte, so genau weià Florian das heute nicht mehr. Er weià nur, dass er nickte. Und lächelte. Und dachte, er mache alles richtig.
Doch als Sakura und er den Laden verlieÃen, da wusste er, dass nichts richtig war. »Es wäre wirklich besser«, sagte Sakura zu ihm, »wenn du in einer solchen Situation einfach Englisch sprechen würdest. Dann wäre klar, dass du es nicht besser weiÃt.« Sie will damit sagen: Dann wäre das alles auch nicht so peinlich für mich. Denn Florian hat auf die Fragen des Bäckers mit einem Nicken geantwortet â was unter Freunden auch in Ordnung gewesen wäre. Beim Bäcker aber wäre es höflich gewesen, »hai« zu sagen, »ja«. Eine kleine, feine Regel â aber für Japaner ein groÃer Unterschied. Für uns Deutsche ist das kaum verständlich. Sakura reagiert über, würden wir sagen, das kann doch so schlimm nicht sein! Florian aber erklärt: »Stell dir vor, dein Freund wischt sich im Restaurant mit der Tischdecke den Mund ab. So ist das für sie.«
Ob Florian es je schaffen wird, nicht nur perfekt Japanisch zu sprechen, sondern auch in der nonverbalen Kommunikation Experte zu werden? Ob er die Fallstricke jemals alle erkennen und umgehen können wird? Ob er sich wirklich integrieren kann? Das ist schwer vorzustellen: Der blonde junge Mann fällt einfach zu sehr auf. Er redet gern, gestikuliert, macht mit Vorliebe ironische Witze. Es ist nicht anzunehmen, dass er in Japan je der Norm entsprechen wird.
Natürlich hilft es ihm sehr, dass er schon oft in Japan war, die Kultur sehr gut kennt. Dass er bereits auf dem Gymnasium in München die Sprache büffelte. Dass auch seine erste Freundin aus Japan stammte. Vier Jahre war er mit ihr zusammen, vier Jahre lang wurden seine Sprachkenntnisse immer besser. Allerdings, sagt Florian, spreche er jetzt so etwas wie Mädchen-Japanisch. »Ich muss mich ganz schön zusammenreiÃen, dass das nicht total schwul klingt.«
Red um dein Leben
Wie man von anderen eingeschätzt wird, hat viel mit Kommunikation zu tun. Vor allem damit, welche Art der Kommunikation diese anderen gewohnt sind. Was würden wir wohl von jemandem halten, den wir gerade erst kennengelernt haben und der ohne Punkt und Komma von seiner letzten Urlaubsreise oder seinen Ansichten über die Deutsche Bahn redet? Egoist, würden wir denken, Selbstdarsteller, der interessiert sich ja
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