Tapas zum Abendbrot
Familie zu einem ausgiebigen Abendessen in einem Restaurant. Mein Experiment kann beginnen. Ungefragt spekuliere ich gegenüber dem Freund von Robertos Cousine, welches Land wir wohl in den nächsten Ferien besuchen werden, überlege hin und her, als würde ich laut denken. Dann erzähle ich einer Tante, dass unsere Hochzeit in einem Schlosshotel stattfinden soll, einem Cousin, woran ich derzeit so arbeite und dem Onkel, welche Sehenswürdigkeiten wir in Córdoba besucht haben. Ich habe viele Meinungen, ich habe viel erlebt, und alle Welt soll davon erfahren! Es ist nicht so, dass sich das gut anfühlt. Aber wenigstens spüre ich nun einen Integrationsfortschritt: Man findet mich sympathisch.
»Und, wie war ich?«, frage ich, als wir spätnachts im Taxi zurück zum Hotel fahren.
»Wunderbar«, sagt Roberto glücklich und küsst mich. Experiment gelungen!
Ja, so ist das in internationalen Beziehungen: Manchmal muss man einfach genau das tun, was einem am fernsten liegt. Das nennt man dann »kulturelle Anpassung«.
Letâs talk about sex, baby
Florian wollte sich eigentlich nie wieder kulturell anpassen. Nachdem er sich von seiner ersten Freundin trennte, weil ihm die Fernbeziehung und die Unterschiede einfach zu anstrengend wurden, hatte er keine Lust mehr auf eine Beziehung mit einer Japanerin. Die ganzen Probleme könne man mit Liebe gar nicht aufwiegen, sagte er sich damals. Doch dann schoss Sakura in sein Leben. Nun ja, sie schloss sich eher hinein.
Florian arbeitete damals an der Uni als Tutor für japanische Austauschstudenten. Am ersten Tag stand bei ihm immer eine schwer schlieÃende Tür auf dem Programm. Denn durch seine jahrelange Japan-Erfahrung wusste Florian: Deutsche SchlieÃsysteme und Japaner, das passt einfach nicht zusammen. »Bei deutschen Türen muss man ein bisschen drücken, dann den Schlüssel drehen, dann ziehen. In Japan dreht man genau andersrum.« Die neuen japanischen Studenten mussten sich also an der Tür versuchen. Alle brauchten ein paar Anläufe, bis es klappte. Dann war Sakura an der Reihe. »Bong«, sagt Florian, da ist die Tür offen. »Mich hat das irgendwie beeindruckt«, erzählt er heute. Ob er sich schon damals verliebte? Auf jeden Fall traf er sich fortan ab und zu mit Sakura. Und er wähnte sich sicher: Er wusste, dass ein japanisches Mädchen nie den ersten Schritt machen würde. Keine bis auf Sakura. »Suki dai io«, sagte sie irgendwann zu ihm. »Ich liebe dich, du Idiot.« Da blieb ihm nichts anderes übrig als zu sagen: »Ja, ich dich auch.«
Die Bilder seiner Japanreisen hat Florian in kleinen Fotoalben gesammelt: Sakura und er in ihrer Wohnung, Sakura bei der Kimonoanprobe, mit Sakuras Eltern beim Essen. ÃuÃerlich sieht er auf den Bildern aus wie immer: groÃ, blond, mit Igelfrisur. Aber innerlich, so sagt er, sei er in Japan ein anderer.
Die Verwandlung kommt, wenn er die Sprache wechselt. Im Japanischen klingt er automatisch ein bisschen weicher, rücksichtsvoller, kurz: weiblicher. Es ist ein wenig, als würde er das Geschlecht wechseln: Alles ist dann so lieblich. Und so kompliziert. Denn er muss immer erahnen, was sein Gegenüber gerade denken, fühlen oder wollen könnte.
Zum Beispiel auf diesem Städtetrip von München nach Hamburg. Im Zug überlegten Florian und seine japanischen Freunde, was sie sich ansehen wollten. Zwei interessierten sich für die Kunsthalle, Florian aber wollte lieber eine Hafenrundfahrt machen. »Wir können uns ja für zwei Stunden trennen«, schlug er vor, »und nachher treffen wir uns dann zum Essen.« Florian sah sich schon über die Elbe schippern. Die anderen sahen ihn fassungslos an.
Heute kennt Florian den Grund: Reisen Japaner als Gruppe, dann bleiben sie zusammen, komme, was wolle. Natürlich hat jeder Einzelne Wünsche und Interessen. Trotzdem würde kein Japaner fordern: »Ich will ins Museum.« Stattdessen fallen Sätze wie dieser: »Ich habe gehört, da gibt es ein schönes Museum.« Und dann sagt ein anderer: »Der Hafen soll auch ganz schön sein.« Irgendwer ordnet sich dann unter â und die Einigung ist gefunden.
Für das Enträtseln und Entschlüsseln unausgesprochener Wünsche gibt es in Japan eine Redewendung: kuuki wo yomu â die Luft lesen. Wer einen Raum betritt, der fragt sich sofort: Wie ist die Stimmung? Selbst unter guten
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