Tapas zum Abendbrot
geschrieben hat. Damit wir noch Zeit zum Proben haben, reise ich schon zwei Tage vor der Hochzeit nach Neustrelitz.
Die werden es noch bereuen, dass sie mich mitspielen lassen, denke ich. Das Stück soll am Samstag bei der Hochzeit aufgeführt werden. Marikes ältester Bruder Paul spielt darin Gitarre, die beiden jüngeren Brüder Geige und Bratsche, und ihre Cousine Anna wird bei der groÃen Uraufführung am Klavier sitzen. Die ganze Familie ist â zumindest aus meiner Perspektive â musikalisch sehr talentiert. Mich in diesem Familienensemble als Querflötenspielerin einzuplanen ist ungefähr so, als würde man Rainer Calmund für die Nationalelf nominieren.
Endlich biege ich bei der alten Ziegelei um die Ecke und parke mein Auto auf dem Hof. Der Boden ist vom Regen ganz aufgeweicht, von den Bäumen tropft das Wasser. Das alte Haus liegt mitten im Wald. Wer den Fricks einen Brief schreiben möchte, der schreibt statt eines StraÃennamens einfach »Ziegelei 1« darauf. Oder auch nur »Ziegelei«. Denn weit und breit steht sowieso kein anderes Haus. Die Ziegelei ist umgeben von einem riesigen blühenden Blumengarten, daran grenzt der Wald, dann kommt ein See. Mehr Mecklenburg-Vorpommern geht nicht.
Aus den Fenstern des alten Backsteinhauses hört man schon, wie Marikes Brüder ihre Instrumente stimmen. Als ich die Haustür öffne, meinen Koffer im Schlepptau, kommt mir Paul entgegen, der Ãlteste der vier Geschwister.
»Ist Marike nicht da?«, frage ich ihn.
»Gerade nicht«, sagt Paul und nimmt mir den Koffer ab. »Die ist mit meiner Mutter Wein kaufen.«
»Na, das passt ja super«, sage ich. »Dann können wir in Ruhe proben.«
Paul hängt meine Jacke auf und holt noch ein paar Flaschen Wasser aus der Küche, er geht wohl von einer längeren Probe aus. Ich werde die auf jeden Fall brauchen können.
»Was ist eigentlich mit Emily?«, frage ich ihn. Denn bislang habe ich seine chinesische Freundin noch nicht gesehen. »Ist sie auch schon da? Ich bin zu neugierig, sie kennenzulernen.«
Paul schüttelt den Kopf und kramt ein paar Gläser aus dem Schrank. »Die kann leider gar nicht kommen. Sie hat einen Auftritt mit ihrer Theatergruppe. Da konnte sie nicht fehlen.«
»Oh, wie schade.«
Bisher weià ich nicht viel über Emily. Nur, dass sie seit Ewigkeiten mit Paul zusammen ist und eigentlich Wang-Lei heiÃt. Wie viele andere Chinesen in Europa hat sie sich einen zweiten Namen gegeben, weil sie fürchtet, dass den Namen »Wang-Lei« hier niemand ohne gröÃere Unfälle über die Lippen bringen kann.
Mit Wasser und Gläsern folgt Paul mir ins Wohnzimmer, in dem ein groÃer brauner Flügel steht. Marikes jüngere Brüder Julius und Hannes haben schon den Verstärker und die Notenständer aufgebaut. »Qué pasa?«, rufen sie mir zu. Cousine Anna sitzt bereits am Flügel.
»Super, dann sind wir ja komplett.« Paul greift nach seiner Gitarre.
»Wie war es denn in China?«, frage ich ihn, während ich meine Flöte aus dem Instrumentenkoffer hole und zusammenbaue. »Marike hat mir erzählt, dass du Emilys Familie kennengelernt hast. War bestimmt aufregend, oder?«
Paul nickt und stöpselt mehrere Kabel in Steckdosen, in den Verstärker und seine Gitarre. Er arbeitet in den Niederlanden als Sounddesigner und kennt sich mit diesen technischen Sachen aus. Bei Filmen kümmert er sich darum, dass sie nicht nur gut aussehen, sondern auch den richtigen Ton haben.
»Aufregend war es wirklich«, sagt er. »Aber Emily hatte den deutlich schwierigeren Part. SchlieÃlich hatte sie ihren Eltern sieben Jahre lang nichts von meiner Existenz erzählt.«
»Sieben Jahre?«, frage ich entsetzt. »Wieso das denn nicht?«
»Das ist eine lange Geschichte. Die erzähle ich dir am besten nach der Probe, in Ordnung?«
»Fangen wir an?«, fragt Hannes und hebt seine Geige an die Schulter. Eilig krame ich meine Noten hervor und setze die Flöte an. Dann zählt Hannes den Takt vor, und wir legen los.
Nach zwei Stunden Probe haben wir immerhin ein paar Durchgänge geschafft. Gerade, als wir alle Instrumente und die Technik wieder abgebaut haben, hören wir ein Auto im Hof: Marike und ihre Mutter sind vom Weinkaufen zurück.
»Hej, da ist ja die Braut!«, rufe ich und breite die Arme aus. SchlieÃlich haben wir uns seit
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