Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)
aber ich konnte mich nicht rühren. Panik lähmte mich und umschloss mein Herz wie eine eiskalte, erbarmungslose Hand. Sowieso hätte ich nichts dagegen tun können, dass der Dolch meine Haut aufritzte. Ich wollte schreien und um mich treten, denn ich wusste, was kommen würde. Schmerz. So war es immer bei einer Verletzung. Sei es eine körperliche oder eine seelische. Ichhatte mich schon einmal an einer Schere verletzt. Es hatte weh getan, ich hatte geschrien und geweint. Und genau das erwartete mich nun wieder. Seltsamerweise jedoch verspürte ich nicht den leisesten Schmerz. Mein Arm fühlte sich schwach und taub an. Ich sah nicht einmal Blut über die Haut rinnen. Nach einer gefühlten Ewigkeit bemerkte ich, dass auch mein anderer Arm taub war. So also hatte mich der Fremde ausser Gefecht gesetzt. Er steckte die Waffe zurück unter seinen Mantel, zog ein Säckchen heraus und verteilte irgendetwas auf der Stelle, an der ich eine Wunde vermutete. Wieder kein Schmerz. Nur Angst. Als Nächstes kam eine Art Ornament in der Form eines blutroten Tropfens aus einer Art Kristall an einer langen Kette zum Vorschein. Das Ornament war dekoriert mit einem Muster. Ein Auge mit einem weiteren Tropfen in der Iris, dunkelblau oder schwarz, ich konnte es nicht genau erkennen, obwohl es von innen heraus ein schwaches Leuchten abgab. Doch leider nicht genug, um zu erkennen, wer neben meinem Bett stand. Diese Kette wurde mir blitzschnell ums Handgelenk geschlungen. Und dann fühlte ich ihn. Ich fühlte ihn von meinem Herz aus den ganzen Körper einnehmen. Den Schmerz, den ich schon lange erwartet hatte.
Es war ein Brennen. Mir wurde eiskalt und mir brach der Schweiss aus. Das Ornament wurde abgenommen, und genauso plötzlich, wie sie gekommen waren, verliessen mich die Qualen auch wieder. Erschöpft schloss ich die Augen. Die Angst und der Schmerz hatten mich ausgelaugt, und ich fühlte mich nur noch wie eine leere Hülle. Ich starrte den Fremden an und fühlte, dass er mich ebenfalls anstarrte. Sein böses Lächeln konnte ich fast körperlich spüren. Wie aus dem Nichts wurde ich von einem Energiestoss erfasst, und als ich spürte, dass derDruck auf meinem Mund ein wenig nachgelassen hatte, öffnete ich ihn und biss zu. Ich rammte meine Zähne, so fest ich konnte, in seine Finger. Ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Blut. Die Person jaulte auf, liess mich los und schlug mir gleich darauf mit voller Wucht ins Gesicht. Der Schrei, der sich in meiner Kehle gebildet hatte, blieb stecken. Mein Schädel dröhnte, und ich spürte das Blut in meinen Schläfen pochen. Mühsam drehte ich mich um, doch ich bekam nicht einmal mehr die Gelegenheit, mich umzusehen, denn er übergoss mich mit einer Flüssigkeit, die unangenehm süsslich roch und mich augenblicklich schläfrig machte. Ich kämpfte gegen den Drang an, meine Augen zu schliessen, doch er gewann die Oberhand, und ich sank in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Mein letzter Gedanke galt noch dem Nachgeschmack von Blut in meinem Mund, dann tauchte ich ab.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich ausgelaugt und äusserst seltsam. Die Angst hatte mich losgelassen. Zum Glück. Im ersten Moment hatte ich das Gefühl, ich hätte geträumt, aber nicht einmal ich hatte eine so blühende Phantasie. Es war alles so surreal. Ich atmete tief durch und blickte mich in meinem Zimmer um. Das einzige Indiz das auf das, was hier gestern geschehen war, hindeutete, war mein Vorhang, der immer noch einen Spaltbreit offen stand. Und natürlich das Muster auf meinem Arm. Ich hatte es weder angeschaut noch berührt. Die Verletzung zu sehen würde es einfach zu real machen. Plötzlich wünschte ich mir, zu Hause zu sein. Zu Hause in Wien. Bei meinem Vater und meinen Freunden. Ich wollte dort sein, wo solche Dinge nicht existieren. Ich wollte in der Welt – in meiner Welt – sein, wo es keinen Rat, keine Vampire oder Taquanta gab. Mein ganzer Körper, jede Faser davon, wünschte sich so sehr, zu Hause zusein. Weit weg von Taquanta. Ich stellte mir vor, wie ich gerade am Telefon war, aufgelegte und meinen Vater nach mir rufen hörte. In meinem Kopf spielte ich den Abend, an dem ich in diese Welt gelangt war, durch, wie es hätte sein sollen. Ein Abendessen, ich und mein Vater, einen Film vielleicht. Doch plötzlich wurde diese Vision von etwas überlagert. Von einem Gesicht. Mit kobaltblauen Augen, wunderschönen Lippen und einem umwerfenden Lächeln. Das Gesicht, das zu
Weitere Kostenlose Bücher