Taqwacore
nicht erzählen konnte – vielleicht die Geschichte von irgendeinem Taqwacore-Kid draußen im Westen, das ihm den Boardslide beigebracht hatte, einem gläubigen Muslim-Punk, der in der dortigen Szene als Legende verehrt wurde. Er behielt die Geschichte, falls es überhaupt eine war, für sich. Vielleicht war es auch eine seiner typischen kleinen Lebensweisheiten, die meistens spontan wie bei einem naiven Drittklässler aus ihm heraussprudelten, wie »In zwanzig Jahren wird bestimmt alles ganz anders sein, Yakhi …« und so weiter. Oder er beglückwünschte sich selbst zu dem Boardslide, hielt aber den Mund, um die Taqwa zu wahren.
Was er auch immer dachte, es sah aus, als käme er allein am besten damit klar. Ich stand auf und ging ins Haus. Erst ins Wohnzimmer, dort hing ich alleine rum und fing an, mich zu langweilen. Dann trottete ich nach oben und hörte, wie Ayyub und Fasiq auf dem Dach bekifft lachten.
»Weißt du, was mit Künstlern passiert, wenn sie sterben?«, fragte Ayyub.
»Was denn?«, antwortete Fasiq.
»Wenn du Lebewesen malst oder zeichnest, dann sagt Allah, wenn du gestorben bist: ›Bring deine Geschöpfe zum Leben, wenn du kannst‹, und natürlich kannst du es nicht, also bringt Allah sie zum Leben und dann quälen sie dich für immer.«
»Das ist doch Schwachsinn«, sagte Fasiq.
»Denk mal drüber nach«, sagte Ayyub. »Es ist krass, Mann. Diese Typen, die die Looney Tunes gemacht haben, die werden von Bugs Bunny und Daffy Duck verbrannt, erstochen und ausgepeitscht.«
»Darüber steht nichts im Koran«, entgegnete Fasiq.
»Es steht in den Hadithen«, sagte Ayyub.
»Jeder Scheiß steht in den Hadithen!«, schrie Fasiq. »Du kannst einen Hadith finden, in dem steht, dass Mohammed Kiefernzapfen als Dildos benutzt hat.«
»In Arabien gab es keine Kiefern«, sagte Ayyub.
»Leck mich!«, sagte Fasiq.
Umars Tür war offen, aber ich klopfte trotzdem. Er saß auf dem Fußboden, sah aus seinem Buch auf und grüßte mich auf traditionelle Weise.
»Wa aleikum assalam«, gab ich zurück. Das Zimmer wirkte wie das eines anarchistischen Mönchs. Regale voller Bücher, an den Wänden Tafeln mit islamischer Kalligrafie, Flyer für Straight-Edge-Konzerte sowie zwei 90 x 150 cm große Flaggen, jede an einer anderen Wand. Eine war grün mit einem weißen Kreis, in dem sich ein roter Halbmond und darüber ein typischer religiöser Spruch mit dem verschnörkelten Namen Allahs befanden. Sie stand für die Islamische Konferenz, eine internationale Organisation, zu deren Mitgliedern 56 Nationen zählten. Die andere Flagge sah aus wie das Sternenbanner, nachdem es in ein schwarzes Loch gesogen worden war: Das blaue Feld mit den Sternen war jetzt leuchtend orange, die Streifen grün und weiß, und in der oberen rechten Ecke befand sich ein großer Stern mit Halbmond in Weiß auf Grün. »Wofür steht das da?«, fragte ich und deutete darauf.
»Kaschmir und Jammu«, antwortete Umar. »Habe ich gerade per Post bestellt.«
»Cool.«
»Der Islam sagt, wir sollen uns mit unseren unterdrückten und verfolgten Brüdern solidarisieren. Aber ich bin kein Nationalist; deshalb habe ich die hier aufgehängt …«
Er deutete auf die Flagge der Islamischen Konferenz. »Wir sind eine Gemeinschaft, Bruder; wir sind die Umma, die einzige legitime politische Instanz auf der Welt.«
»Maschallah«, sagte ich, nur um die Unterhaltung am Laufen zu halten.
»Der Islam ist nämlich gegen jegliche Form von Nationalismus – nicht nur gegen politischen, sondern auch gegen kulturellen Nationalismus. Viele sagen: ›Wir müssen den Islam an die amerikanische Kultur anpassen‹, oder ›Wir müssen den Islam an dies oder das anpassen‹. Aber, Bruder, wir wollen keine ›amerikanischen Muslime‹ hier und ›arabische Muslime‹ dort, verstehst du? Das bedeutet Teilung. Der Islam ist universell. Er geht über all unsere kleinlichen Fragen nach Rasse und Nationalität hinaus.«
»Das ist wahr.«
»Er ist nicht mal eine Religion, Bruder. Religion bedeutet Machtspiele und Aberglauben. Der Islam ist die VOLLKOMMENE LEBENSORDNUNG .«
»Stimmt.«
»Alles hat seinen Zweck und seine Bedeutung.«
»Auf jeden Fall.«
»Wusstest du, dass das Salat sogar aus medizinischer Sicht förderlich ist?«
»Nein!«, entgegnete ich fast enthusiastisch.
»Bruder, wenn du dich mit traditionellem Yoga beschäftigst – nicht mit diesem verweichlichten Aerobic-Yoga aus dem Fitnessstudio, sondern dem echten aus Indien –, dann fällt dir
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