Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
drehte sich halb um und sah, dass dort ein zweiter Vogelmensch saß, offenbar ein Soldat, der sie sehr genau im Auge behielt. Seine Hand ruhte an seinem Gürtel, in dem mehrere schmale Wurfklingen steckten. Natürlich war sie selbst trotz des Verlusts ihrer zwei Schwerter nicht ganz wehrlos, dennoch bezweifelte sie, dass sie eine Konfrontation in luftiger Höhe überleben würde. Also schien Diplomatie das Gebot des Augenblicks zu sein. »Gibt es Schwierigkeiten, Herr Iegi?«
»Das hängt ein wenig davon ab«, erwiderte dieser, der ihre Anspannung wohl bemerkt hatte, »was Ihr mir über die Umstände zu berichten vermögt, die Euch in den Besitz dieses Amuletts brachten.« Er öffnete die rechte Hand, und darin lag das heilkräftige Kleinod, das ihr Tarean im Lager der Geächteten geschenkt hatte.
Instinktiv machte sie einen Schritt auf ihn zu. »Wo habt Ihr das her?«, fuhr sie ihn an, vielleicht heftiger, als es klug war.
»Es lag zwischen Euren Sachen. Hauptmann Nirwin erkannte es, als er Euch Euer Quartier wies, und er war so frei, mir davon Kunde zu bringen.«
»Und das, glaubt Ihr, gibt Euch das Recht, mich zu bestehlen?«
»Ich nehme mir das Recht«, erwiderte Iegi kühl, »als Prinz von Airianis und einstiger Besitzer von Kilrien, der es vor nicht allzu langer Zeit einem Freund schenkte, und dieser Freund wart nicht Ihr.«
Auril hielt überrascht inne, als sich die Mosaiksteinchen in ihrem Kopf plötzlich zu einem Bild zusammensetzten. »Ihr seid der Freund, der Tarean einst Kilrien schenkte, der Vogelmensch aus den Wolkenbergen, mit dem er damals Seite an Seite kämpfte.«
Der Geflügelte blickte sie überrascht an. »Ihr kennt Tarean?«
»Bedeutend besser, als Ihr es Euch vermutlich vorstellen könnt«, antwortete Auril. »Wollen wir hineingehen? Dann bin ich gerne bereit, Euch die Umstände zu schildern, die Tarean und mich zusammengeführt haben.« Sie deutete mit einer einladenden Handbewegung auf ihre Hütte.
Der Taijirin schien kurz zu überlegen, dann nickte er knapp und trat beiseite, um ihr den Vortritt zu lassen. Als die Albin ihn passierte, hielt sie inne und streckte ihm die Handfläche entgegen. »Und im Übrigen hätte ich gerne das Geschenk zurück, das ich von Tarean empfing. Es war ihm wichtig, dass ich Kilrien trage.«
Iegi reichte es ihr und lächelte auf einmal. »Und vielleicht hatte es tatsächlich etwas Gutes, denn es führte uns zusammen.«
Auril hatte ziemlich lange geredet und dazwischen ein wenig gegessen, und als sie fertig war, lehnte sich der Vogelmensch langsam auf seinem Stuhl mit der hohen, schmalen Lehne zurück und ließ einen leisen Pfiff der Verwunderung hören. »Ich gestehe, Eure Geschichte hört sich allzu fantastisch an. Viel leichter würde es mir fallen, in Euch eine kleine Diebin zu sehen, die Kilrien gestohlen hat und mir nun ein Märchen auftischt, um mit heiler Haut davonzukommen.«
Die Albin wollte schon auffahren, doch er hielt sie mit einer Geste zurück. »Aber ich glaube Euch dennoch und dies nicht nur, weil Ihr mir Tarean als den Jungen zu beschreiben vermögt, als den ich ihn in der kurzen Zeit, die wir gemeinsam auf dem Wallhorn verbracht haben, kennengelernt habe. Ich glaube Euch auch deshalb, weil mir keine naheliegendere Geschichte einfallen will, die Euch in den wenigen Wochen, die seit meiner Rückkehr aus Bergen vergangen sind, bis hierher ans andere Ende Eurer so genannten westlichen Reiche hätte führen können. Vor allem aber«, er beugte sich wieder vor und seine fast schwarzen Augen bohrten sich in die ihren, »glaube ich Euch, weil ich spüre, dass Ihr ein aufrechtes Herz habt, auch wenn Ihr es Fremden gegenüber geschickt zu verbergen sucht.«
»Es freut mich, dass Ihr uns Flachländer so gut zu beurteilen wisst, Hoheit«, erwiderte Auril mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme.
Iegi ging mit nachsichtigem Lächeln darüber hinweg. »Wie soll es nun für Euch weitergehen?«
Die Albin stand vom Tisch auf und ging zum Fenster. Draußen stand die Sonne bereits hoch am Himmel, und Scharen von Taijirin bevölkerten die Luft über Airianis. Die meisten von ihnen flogen aus eigener Kraft, manche ritten indes auf edel aussehenden Tieren, einer Mischung aus Pferd und Vogel, mit breiten Hufen, einem kräftigen Schnabel und beachtlicher Flügelspannweite, mittels derer sie elegant durch die Lüfte glitten. »Karnodrim, Moosbeere und ich müssen so rasch wie möglich nach At Arthanoc. Tarean braucht uns dort, denn alleine wird er gegen
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