Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
gleiten. »Deine Fantasie spielt dir einen Streich.«
Ein leises Lachen hallte durch das leere Gewölbe seines Geistes, während sich jeder bewusste Gedanke panisch in finsteren Ritzen und Spalten zu verstecken versuchte. »Nein, das ist keine Einbildung.«
»Aber wie …?«, setzte der Bär an, doch Tarean unterbrach ihn. »Ich weiß nicht, wie er es gemerkt hat. Vielleicht spürt er die Nähe von Esdurial. Vielleicht war es auch einfach töricht, anzunehmen, wir könnten ungesehen in die Burg eines Hexenmeisters einbrechen.«
»Das heißt, wir verschwinden auf dem schnellsten Wege wieder?«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, ihr bleibt hier und … und haltet mir den Fluchtweg offen.« Sein Blick irrlichterte den düsteren Turm empor, der sie gewaltig und Furcht einflößend überragte. Er fragte sich, ob Calvas in genau diesem Moment aus einem der schmalen Fenster hoch droben auf sie herabblickte, und ein Schauer lief ihm über den Rücken.
»Und was machst du?«, wollte der Bär wissen.
Komm zu mir, Tarean.
»Ich gehe hinein«, sagte Tarean. »Und werde mich dem Hexer stellen. Deswegen sind wir doch hier, oder nicht?«
»Oh nein«, widersprach der Bär, »du gehst nicht alleine. Auril würde mich umbringen, wenn dir etwas zustößt.«
»Bromm, du kannst mir nicht helfen!«
Dieser ließ seine gewaltigen Muskeln spielen. »Bist du dir da so sicher, mein Junge?«
Tareans Blick huschte erneut den Turm hinauf, und dann blickte er den Werbären fast traurig an. »Ja, das bin ich.«
Bromms Antlitz verfinsterte sich, doch dann legte ihm Kiesel die Hand auf die Schulter, schaute ihn aus blauen Augen an, und ein Ausdruck der Verblüffung trat auf die Miene des Bären. Die beiden standen sich einen Moment schweigend gegenüber, und schließlich nickte Tareans hünenhafter Gefährte widerwillig. »Na schön. Aber wenn du bis zum Morgengrauen nicht zurück bist, bleibt in dieser Burg kein Stein auf dem anderen.« Er ließ ein bedrohliches Grollen hören, um seine Worte zu unterstreichen.
Tarean nickte kurz, wandte sich um, schwankte, drehte sich dann noch einmal zurück und umarmte Bromm. »Mach’s gut, Bromm«, flüsterte er erstickt, und plötzlich befiel ihn das schreckliche Gefühl, dass er den Werbären nie wieder sehen würde.
Bromm schloss ihn in seine gewaltigen Arme. »Pass auf dich auf, Kleiner.« Er gab ihn frei und versetzte ihm einen Schubs. »Und nun lauf.«
Tarean, wisperte die Stimme in seinem Kopf.
»Ich komme, Hexenmeister«, knurrte Tarean, zog sein Schwert und huschte los. Er überquerte den Burghof, und es verwunderte ihn kaum, dass die Tür zum Haupthaus offen stand. Er argwöhnte, dass sie auch das Burgtor unverschlossen vorgefunden hätten, wenn sie es geprüft hätten.
Der Junge trat ins Innere und fand sich in einer düsteren Eingangshalle mit hohem, spitzem Deckengewölbe wieder. Es erinnerte ihn mehr an einen Tempel denn an eine Burg. Im Halbdunkel weiter hinten schien es eine Treppe zu geben, die nach oben führte.
Von der Stimme in seinem Geist gelenkt, die leise aber drängend nach ihm verlangte, schlich er durch die Halle und die Treppe hinauf, dann durch weitere Gänge und Kammern, die allesamt wie ausgestorben wirkten. Mit traumwandlerischer Sicherheit trieb es ihn voran, bis er schließlich eine Wendeltreppe erreichte, die sich dem Anschein nach entlang der Außenmauer des Hexerturms schier endlos nach oben zog, auch wenn es keine Fenster oder Schießscharten gab, die ihm Sicherheit darüber gegeben hätten.
Tarean.
Wie lange er Schritt für Schritt Stufe für Stufe erklomm, vermochte er nicht zu sagen. Schließlich erreichte Tarean das obere Ende der Treppe und fand sich in einem großen, schmucklosen Vorraum wieder. Es war bitterkalt hier, und die nackten, kahlen Steinwände verstärkten das Gefühl der Beklommenheit noch, das auf einmal mit Macht über ihn gekommen war, kaum dass er die letzte Stufe verlassen hatte.
Ihm gegenüber befand sich ein einzelnes Portal aus dunklem Metall, und ein fremdartiges weißes Muster überzog das flache Reliefbild, das die Türflügel verzierte. Als der Junge näher trat, erkannte er, dass es Eisblumen waren, die sich auf dem Metall gebildet hatten. Und mit einem Mal wusste er, dass er am Ziel seiner Reise angekommen war. Hinter dieser Tür würde er Calvas, dem Hexenmeister, endlich gegenübertreten. Und was dann geschehen würde, wussten nur die Dreigötter.
Indra, Jesup und Vazar, steht mir bei. Zögernd berührte er
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