Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
so hoch in der Luft und ohne Fluchtmöglichkeit inmitten einer Gruppe von Wesen, die ihr verhalten ablehnend, wenn nicht gar offen feindselig gegenüberstanden, nicht wirklich wohlfühlte.
Moosbeere schließlich saß mit gesenktem Kopf und hängenden Flügeln auf dem Armbrustgeschütz am Bug des Schiffes und glühte schwach vor sich hin. Sie glich einer winzigen Laterne, die im Augenblick nicht genug Leuchtkraft hatte, ihnen den Weg durch die Finsternis zu weisen, die sie alle auf die eine oder andere Art befallen hatte.
Tarean, der im Steuerstand auf Posten gegangen war und von dort aus das ganze Deck überblicken konnte, lehnte sich gegen die hölzerne Wandung und schloss für einen Moment die Augen. Nein, so hatte er sich ihr Wiedersehen wahrhaftig nicht vorgestellt.
Er hörte, wie sich Haffta zu seiner Rechten mit knarrender Lederrüstung erhob und schlug neugierig die Augen wieder auf. Die Grawlfrau trat zu Auril und Iegi hinüber, die aufblickten, als sie sich in gebührendem Abstand, aber doch mit der unzweideutigen Absicht, ein Gespräch zu beginnen, vor ihnen niederließ.
»Ich wollte dir danken, Vogelmensch«, sagte Haffta mit rauer Stimme. »Iegi«, verbesserte sie sich nach kurzem Zögern.
»Wofür?«, fragte dieser.
»Dafür, dass du mir oben am Bruch geholfen hast.«
Der Taijirinprinz senkte den Blick. »Danke nicht mir«, erwiderte er leise. »Danke Tarean. Ihn wollte ich nicht enttäuschen.«
Haffta schien über das Gesagte kurz nachzudenken. »Warum belügst du dich selbst?«, fragte sie dann.
Iegi runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
Die eisblauen Augen der Wolfsfrau glitzerten wie Gletscher an einem wolkenlosen Wintertag. »Du hast mir geholfen, weil du ein Krieger bist, der ein aufrechtes Herz hat. Und dein aufrechtes Herz hat dir geboten, einer Hilflosen die Hand zu reichen, auch wenn sie an einem anderen Tag, auf einem anderen Schlachtfeld deine Feindin gewesen sein könnte.«
Auril klopfte Iegi auf die Schulter und stand auf. »Ich denke, ich lasse euch beide jetzt mal allein. Das ist eine Sache zwischen dir und der Wolfsfrau.«
Aber Iegi hielt sie am Arm fest. »Nein, bleib bitte. Es gibt keine Sache zwischen mir und der Wolfsfrau .«
Die Albin löste sich sanft, aber bestimmt. »Ich muss nach Bromm schauen«, beharrte sie, warf Haffta noch einen letzten, schwer zu deutenden Blick zu und wandte sich dann ab, um ins Heck des Flugschiffes zu gehen. Dort nahm sie Bromm das Tuch ab, mit dem dieser eher lustlos versuchte, seine Wunden zu reinigen, und tat so, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt als die fast lachhaft winzig wirkenden Einschusslöcher im riesigen Leib des Werbären.
»Ich möchte dir etwas verraten«, setzte Haffta erneut an, nachdem sie und Iegi allein waren – oder zumindest so allein, wie man es zu sechst auf einem Flugschiff wie diesem sein konnte. »Seitdem meine Sippe vor sieben Jahren in die westlichen Reiche gekommen ist, habe ich zwölf Setten getötet, fünf Menschen und drei Alben – von den letzten acht die Hälfte während der Schlacht um At Arthanoc. Vielleicht waren es auch ein oder zwei mehr; meine Erinnerungen an die Wirren des Kampfes sind verschwommen. Auf einige dieser Morde bin ich heute nicht stolz, denn es waren unterlegene Gegner, und wir erschlugen sie ohne Gnade. Aber ich war – wie wir alle – im Bann des Grimmwolfs. Ich war eine Kriegerin in einem Heer. Ich tat, was mir gesagt wurde. Worauf ich jedoch hinaus will: Mir stand nie ein Vogelmensch im Kampf gegenüber. Ich habe keinem der Deinen jemals ein Leid zugefügt. Woher also rührt dein Hass auf mich?«
Iegi funkelte Haffta an. »Hör zu, es ist mir egal, was du getan oder nicht getan hast. Ihr habt die westlichen Reiche angegriffen und uns alle in einen Krieg verwickelt, den wir nicht gewollt haben. Und auch wenn du ihnen nicht selbst den Hals umgedreht hast, sind Freunde von mir in diesem Krieg gestorben. Von deinesgleichen umgebracht. Aber ich will darüber jetzt auch nicht sprechen. Raisil ist tot. Das ist das Einzige, woran ich im Moment denken kann: dass Calvas Raisil getötet hat.«
»Und genau deshalb eint uns mehr als uns entzweit«, beharrte Haffta.
»Uns eint gar nichts«, knurrte der junge Vogelmensch.
»Oh doch.« Die Grawlfrau beugte sich leicht vor. »Uns eint der Hass auf den Hexenmeister. Erinnerst du dich schon nicht mehr? Auch meine Sippe wurde von Calvas umgebracht. Mein Gefährte ist tot, meine Brüder und meine zwei Junglinge ebenfalls. Und
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