Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Ieverin verwirkt hatte und von diesem zum einfachen Greifenmeister herabgestuft worden war. Seitdem befand sich die Familie Shiraiks, deren Einfluss in Airianis nicht unbeträchtlich war, im stillen Widerstand gegen Ieverin, was Iegi und Shariik, die sich, soweit Tarean wusste, schon früher nicht hatten ausstehen können, zu leidenschaftlichen Widersachern hatte werden lassen. Es würde dem dunkel gefiederten Taijirin eine Genugtuung sein, den Prinzen beim diesjährigen Wettstreit um den Sieg auszustechen – wenn es ihm denn gelang.
»Lass Tarean in Ruhe, Shariik«, nahm dieser unterdessen seinen Freund in Schutz, der schließlich nur zufällig in die Schusslinie zwischen ihm und Shiraiks Sohn geraten war. »Versuch lieber, es mit mir aufzunehmen!« Rücksichtslos trieb er seinen Greifen voran.
»Das wird mir nicht schwerfallen«, tönte Shariik und heftete sich an Iegis Fersen. Gemeinsam galoppierten sie in die Tausend Zinnen hinein, Iegi vorneweg, Shariik, Tarean, Raisil und die beiden anderen Vogelmenschen hinterdrein. Dicht hinter ihnen folgte das Hauptfeld des Rennens. In waghalsiger Geschwindigkeit jagten sie den Hauptpfad entlang, tauchten unter hohen Querzinnen hindurch und übersprangen bodennahe Hindernisse, wobei sich die Greifen von Iegi und Shariik beinahe berührten, während die beiden Rivalen um die Führungsposition stritten.
Unvermittelt ließ Tareans Freund den anderen an sich vorbeiziehen und riss seinen Greifen herum, um eine der unheilvollen Abkürzungen durch die Tausend Zinnen einzuschlagen, die im spitzen Winkel von der Hauptstrecke abzweigte. »Tarean, Raisil, mir nach!«
»Iegi!«, schrie Raisil. »Das ist zu gefährlich!« Doch sie folgte ihm. Und bevor Tarean auch nur richtig darüber nachgedacht hatte, lenkte er Ro’ik ebenfalls in das tückische Felsenlabyrinth.
»Du Elender!«, schrie Shariik, als er merkte, dass Iegi ihn ausgetrickst hatte, aber er war schon zu weit auf der Hauptstrecke vorausgeritten, um noch umzukehren.
»Ich proste dir von der Tribüne aus zu, wenn du ins Ziel reitest, Shariik«, antwortete der Prinz lachend.
Tarean war kein bisschen mehr zum Lachen zumute. Hier und jetzt wurde er Zeuge der von Liftrai bereits beschworenen Leichtfertigkeit Iegis. Der Weg vor ihnen schlängelte sich in atemberaubenden Kurven zwischen den Felszinnen hindurch. Stellenweise rückten die emporragenden Säulen so nah zusammen, dass Ro’iks Körper nur mit eng angelegten Flügeln hindurchpasste. Immer wieder wuchsen Felsnadeln unvermittelt um sie herum aus dem Boden, oder aber sie ragten schräg auf den Pfad hinaus. Ro’ik stieß einen unwilligen Schrei aus, und Tarean zuckte zusammen, als der Greif abrupt die Richtung wechselte, um einem Dorn zu entgehen, der sie beide beinahe aufgespießt hätte. Das ist der reine Wahnsinn! Iegi wird uns alle umbringen – und ich bin dumm genug, ihm zu folgen.
Als hätte das Schicksal nur darauf gewartet, ihn in seinem Gedankengang zu bestätigen, stieß Raisils Greif, der sich direkt vor ihnen durch das Felsenlabyrinth quälte, ein schmerzerfülltes Kreischen aus. Er hielt im vollen Lauf inne und stieg auf die Hinterbeine. Iegis Nistschwester schrie auf, als sie rücklings von ihrem Reittier stürzte und hart auf dem felsigen Boden aufschlug.
Tarean musste sich blitzschnell entscheiden. Wollte er Iegi nicht verlieren, der den Unfall offenbar nicht bemerkt hatte, durfte er nicht zögern, sondern musste weiterpreschen. Tatsächlich wäre es ihm an dieser Stelle sogar möglich gewesen, mit einem Satz an dem Mädchen und ihrem Greifen vorbeizuspringen. Und für den Bruchteil eines Herzschlages wollte er es tun! Weiterjagen, Iegi verfolgen, die roten Bänder am Weißhorn und an der hohlen Klippe erringen und siegreich in Airianis einreiten.
Aber dann besann er sich. »Halt, Ro’ik. Bleib stehen!«, rief er seinem Greifen zu, und das Tier schien dem Befehl mehr als willig nachzukommen. Rasch glitt der Junge vom Rücken des Vogelpferdes und eilte zu Raisil hinüber.
»Was tust du?«, rief sie. »Reite weiter. Lass mich hier zurück. Es ist nicht so schlimm.« Sie wollte sich aufrappeln, doch als sie sich auf die Beine erhob, schwankte sie plötzlich und streckte Hilfe suchend die Arme aus. Tarean fing sie auf, bevor sie wieder umkippen konnte. »Vorsicht, du hast dir den Kopf angeschlagen«, sagte er.
Die junge Taijirin in seinen Armen schaute ihn verwirrt an und betastete dann ihre Schläfe. Blut klebte an ihren Fingern, als sie die Hand
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