Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Gesundheitszustand des Greifen und begutachtete dann die Brustverletzung mit fachmännischem Blick. »Ich denke schon. Ich muss sie nur betäuben, bevor ich die Felsnadel herausziehen kann.« Er holte ein grünes Fläschchen hervor und winkte Tarean näher. »Dazu brauche ich deine Hilfe, denn es muss schnell gehen. Ich werde Ishilrin jetzt ein paar Tropfen hiervon verabreichen. Dadurch wird sie vermutlich so schläfrig, dass sie sich wird hinlegen wollen. Bevor das geschieht, müssen wir die Nadel schnell, aber trotzdem vorsichtig herausziehen, sonst kann es passieren, dass ihre Brustmuskeln den Stein zerbrechen – und Bruchstücke aus ihrer Brust herauszuklauben, wird eine furchtbar blutige Angelegenheit. Wir müssen also genau den richtigen Moment abpassen, und wenn ich es dir sage, musst du mir beim Ziehen helfen.«
Der Junge nickte tapfer, auch wenn sich ihm bei der Vorstellung, einen Steindorn aus dem Körper eines Lebewesens herausreißen zu müssen, innerlich der Magen umdrehte.
Liftrai entkorkte das Fläschchen und wandte sich dem Greifen zu. Ein stechender Geruch drang Tarean in die Nase, als der Greifenmeister Ishilrin ein paar Tropfen einer klaren Flüssigkeit in den Schnabel träufelte. Es vergingen keine zehn Herzschläge, bevor das Tier plötzlich zu schwanken begann.
»Jetzt!«, befahl Liftrai.
Mit gemeinsamer Anstrengung zogen sie die daumendicke, aber erschreckend lange Zinne unbeschädigt aus der Brust des Vogelpferdes.
Keinen Augenblick zu früh. Schon knickten die Beine von Raisils Reittier ein, und es legte sich mit einem leisen Krächzen auf die Seite. Während Liftrai anfing, die Wunde mit Blutmoos oder einer ähnlich wirkenden einheimischen Heilpflanze auszustopfen, warf Tarean den blutbesudelten Dorn angewidert von sich. Bei der Vorstellung, wie leicht Raisil oder er selbst während ihres wilden Ritts durch die Tausend Zinnen von solch einem Felsspeer hätten durchbohrt werden können, wurde ihm ganz anders. Ein Blick hinüber zu Iegis Nistschwester überzeugte ihn davon, dass ihr ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen – und dass sich ein Gewitter in ihrem Inneren zusammenbraute, das sich irgendwann am heutigen Tage noch entladen würde. Ich habe das Gefühl, Iegi, dass das hier noch ein Nachspiel haben wird. Ich hoffe für dich, dass es dir das wert war.
Er ging zu Raisil hinüber. »Komm«, sagte er. »Lassen wir die beiden ihre Arbeit machen. Ich bringe dich mit Ro’ik in die Stadt.«
Das Mädchen warf einen letzten Blick auf seinen am Boden liegenden Greifen, der von Liftrai behandelt wurde, dann nickte es.
Den Weg nach Airianis legten sie schweigend zurück. Als sie sich der Stadt der Vogelmenschen näherten – in Tareans Fall bereits zum zweiten Mal am heutigen Tage –, sahen sie, dass sich auf der Plattform vor der kuppelförmigen Ratshalle eine große Menge an Taijirin zusammengefunden hatte. Das Vier-Gipfel-Rennen war vorüber, und die Vogelmenschen jubelten dem Sieger begeistert zu. Kaum überraschend, hieß er einmal mehr Iegi – sehr zum Unwillen Shariiks, dessen Familienwappen erst an vierter Stelle am großen Siegesbaum, einem vor der Ratshalle errichteten, reich geschmückten Baumstamm, hing.
Doch dem Taijirinprinzen blieb nicht viel Zeit, die doppelte Genugtuung seines Sieges und des Versagens seines Rivalen zu genießen, denn kaum war Tarean mit Ro’ik am Rande des Platzes gelandet, als Raisil auch schon vom Rücken des Vogelpferdes sprang und sich durch die feiernde Menge in Richtung ihres Nistbruders drängte. Tarean eilte ihr nach – ob um Iegi beizustehen oder Raisil zu unterstützen, wusste er noch nicht genau.
Der junge Vogelmensch saß gemeinsam mit den übrigen Greifenreitern, die das Vier-Gipfel-Rennen erfolgreich bestritten hatten, an einer langen Tafel, die auf einem Podest direkt neben der Ratshalle aufgebaut worden war. Als er Tarean und Raisil näher kommen sah, erhob er sich und prostete ihnen mit einem Pokal ausgelassen zu. »Tarean. Raisil. Es freut mich, euch zu sehen. Wo seid ihr gewesen? Irgendwie scheinen wir uns in den Tausend Zinnen verloren zu haben.«
»Verloren? Du kleiner …«, setzte Raisil zu einem Wutausbruch an, doch Tarean legte ihr rasch die Hand auf die Schulter. »Was?!«, rief sie und fuhr zu ihm herum.
»Nicht vor allen Leuten«, raunte Tarean. »Nicht vor Shariik.«
Sie warf einen Blick hinüber zu der Tafel und sah den Sohn Shiraiks, der sie mit aufmerksamer Miene beobachtete. Sie presste die Lippen zusammen und
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