Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
muss passiert sein, als der Drache gegen den Findling geprallt ist, kurz bevor ich abgeworfen wurde. Doch er hatte sich bereits bis zum Hals der Bestie vorgekämpft, und so achtete er nicht auf seine eigene Verletzung, sondern brachte das Untier zur Strecke. Seine letzten Worte an mich, als ich ihn sterbend vorfand …« Iegi brach ab und räusperte sich. »Seine letzten Worte waren: Ich wusste, dass du uns alle umbringen wirst …« Der junge Prinz holte tief Luft, senkte den Kopf, und man sah ihm an, dass er um seine Fassung kämpfte. Shariik mochte alles andere als ein Freund gewesen sein, aber er hatte zu seinem Leben in Airianis gehört wie der karottenköpfige Silas daheim auf Burg Dornhall zu Tareans.
»Oh, Iegi.« Auril erhob sich von dem am Boden liegenden Bromm und trat auf den Prinzen zu. »Das ist nicht wahr. Du kannst nichts für das, was passiert ist.«
»Tatsächlich nicht?« Der junge Vogelmensch blickte auf. Seine Augen waren gerötet, und sein Gesicht glich einer Grimasse des Zorns und der Verzweiflung. »Wer hat denn den Angriff auf den Glutlanddrachen angeführt? Shariik wäre in den Wolken geblieben. Doch ich dachte, ich müsste euch helfen.«
»Und damit hast du genau richtig gehandelt«, mischte sich nun auch Tarean ein. »Euer Angriff hat Bromm und Haffta das Leben gerettet. Wahrscheinlich uns allen. Fenrirs und mein Schlag gegen die Bestie waren doch nur Nadelstiche. Sie wäre wiedergekommen und hätte uns alle getötet.« Er legte dem Freund die Hand auf die Schulter. »Dass zuerst Iagiss und jetzt Shariik gestorben sind, ist ein furchtbarer Preis, aber ihr Opfer war nicht umsonst. Wir leben noch. Wir können weitermachen. Und wir sind fast am Ziel.«
24
DIE DUNKELREICHE
Sie verbargen Shariiks Leichnam in einer Felsspalte und türmten Steine davor auf, damit er nicht von Tieren gefunden und weggeschleppt werden konnte. Sie würden ihn hier wieder abholen, wenn sie den Weg nach Hause antraten. Den toten Leib von Shiraiks Sohn zurück nach Airianis zu bringen, war das wenigste, was Iegi tun konnte, um die wagemutige und unerwartet selbstlose Tat seines Rivalen zu würdigen, und zugleich der erste Schritt auf dem langen Weg der Buße, der nach dieser Tragödie unweigerlich auf den jungen Prinzen wartete. Sie sprachen nicht darüber, welche Folgen sein Handeln auf das fragile Gleichgewicht der Macht in der Vogelmenschenstadt haben würde. Aber Tarean konnte sich vorstellen, dass es für seinen Freund nach der Heimkehr nicht leicht werden würde – falls sie überhaupt jemals lebend heimkehrten.
Denn noch stand die letzte Prüfung aus. Noch hatten sie die Dunkelreiche nicht betreten, den Herrn der Tiefe nicht überwunden und die Kristalldrachen nicht befreit. Mit jedem Schritt aber, den sie an diesem Tag taten, mit jeder Meile, die sie zurücklegten, kamen sie dem Augenblick der Wahrheit näher. Es war ein Augenblick, vor dem Tarean sich fürchtete.
Während die anderen Steine herantrugen, um Shariiks zeitweiliges Grab zu versiegeln, kümmerte sich Auril um die Verletzungen von Bromm und dem Gardisten, der Nieldir hieß und sich als Neffe des vor At Arthanoc gefallenen Himmelsmarschalls Nirwin herausstellte. Als die Albin ihre Untersuchung beendet hatte, gesellte sie sich zu Tarean und den anderen und schüttelte missmutig den Kopf. »Bromm mag hart im Nehmen sein, und wenn er die Zähne zusammenbeißt, kann er uns vermutlich weiterhin begleiten. Doch Nieldir in die Dunkelreiche mitzunehmen, hieße mit Sicherheit, ihn gleich dort zu lassen. Er ist zu schwer verletzt. Einen weiteren Kampf würde er nicht überstehen. Ganz zu schweigen davon, dass er im Augenblick nicht fliegen und kaum laufen kann.«
»Was machen wir also?«, fragte Tarean.
»Ich schlage vor, wir suchen eine geschützte Stelle und lassen ihn und Bromm dort auf unsere Rückkehr warten.«
»Kommt nicht infrage«, mischte sich der Werbär ein, der in diesem Augenblick hinzutrat. »Ich habe mich nicht beinahe von einem Drachen rösten lassen, um dann in Sichtweite unseres Ziels die Waffen zu strecken.«
»Aber du bist verletzt«, wandte Auril ein.
»Bin ich das nicht ständig?«, entgegnete der Werbär grimmig. »Das kommt davon, wenn man versucht, andauernd anderen Leuten das Leben zu retten. Aber das hält mich nicht auf! Ich bleibe bei euch, damit das klar ist.«
Die Albin warf ihrem hünenhaften Gefährten einen säuerlichen Blick zu. Aber sie wusste, dass es kaum Sinn hatte, in diesem Punkt mit ihm zu streiten.
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