Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
des Rückenpanzers, und ein rötlicher Schimmer drang daraus hervor. Ein feiner Geruch von verbranntem Horn wehte zu den Gefährten herüber.
Mit der gemächlichen Ziellosigkeit, mit der ein Burgherr durch die Gänge seiner Feste schlendern mochte, streifte der beinahe haushohe Tierdämon durch die Weite der Halle. Seine beiden Köpfe pendelten dabei unabhängig voneinander umher, als begutachteten sie die durchscheinenden, unbeweglichen Menschlein, an denen er vorüberschritt. Gelegentlich beugte sich einer der grausigen Schädel zur Erde, und die kräftigen Kiefer des Ungeheuers schlossen sich so beiläufig um einen der schimmernden Flecken, als zupfe ein Schaf auf einer Weide Wildblumen. Der Dämon warf den Kopf hoch, und sein Maul bewegte sich ein-, zweimal. Dann hatte er die vollkommen hilflose Seele verschlungen.
Tarean spürte, wie sich ihm angesichts des furchtbaren Schauspiels der Magen umdrehte. »Dreigötter, steht uns bei«, flüsterte er entsetzt.
»Das ist grausamer Wahnwitz«, knurrte Fenrir leise.
Dem ersten Ungetüm folgte ein zweites, eine riesenhafte, schwarz glänzende Gottesanbeterin, über deren Leib gezackte, glutrote Risse verliefen wie Lavaströme durch eine tote Basaltlandschaft. Dahinter kam ein dritter Dämon in Sicht, ein brullähnlicher Titan mit glühenden Augen und flammend roter Haut, um welche die Luft vor Hitze zu wabern schien. Er stieß ein dumpfes Schnauben aus, und seinen Nüstern entstiegen Qualmwolken. Auch diese beiden labten sich willkürlich an den glücklosen Geistern, die ihren Weg säumten.
»Wir müssen hier weg«, raunte Auril. »Wenn die uns entdecken, ist es vorbei.«
Tarean zwang sich, seine Augen abzuwenden, die wie gebannt an den drei Ungeheuern hingen. »Ja, du hast recht. Kommt.«
Verstohlen krochen sie in den Sichtschatten der nächsten Säule. Dort erhoben sie sich und huschten geduckt weiter. Als sie aus dem Schatten traten, um die Strecke zur nächsten Säule zu bewältigen, spannte sich Tareans Rücken. Jeden Augenblick erwartete er ein gewaltiges Brüllen, Heulen oder Fauchen zu hören, das davon kündete, dass die Dämonen sie entdeckt hatten. Doch nichts dergleichen passierte. Als er einen raschen Blick über die Schulter warf, sah er, dass die Ungetüme einfach weiterspaziert waren. Über mögliche Eindringlinge in ihr Reich schienen sie sich keine Sorgen zu machen. Ihre Aufmerksamkeit galt allein dem furchtbaren Mahl, das sie abhielten.
Zweimal noch sahen sie in der Ferne gewaltige Abscheulichkeiten, die durch die schier unmöglich weitläufige Halle streiften wie Wölfe über eine Weide voll angepflockter Schafe. Keines der Ungetüme bemerkte Tarean und seine Gefährten. Auch der Grimmwolf gehörte einst zu ihnen, dachte Tarean mit Schrecken. Auch er hat einst Seelen gefressen, nicht zuletzt die meines Vaters. Auf einmal verspürte der Junge eine tiefe Befriedigung, dass er das Untier vernichtet hatte, nicht allein um Anreons willen, sondern für alle, deren Leben – oder Unleben – der Dämon ausgelöscht hatte.
Schließlich hatten sie das Ende der Halle erreicht. Die Wand bestand aus nachtschwarzem, unebenem Fels, der beinahe senkrecht in die Höhe stieg. Ein Blick nach links und rechts zeigte, dass sich die Wand in beiden Richtungen im Zwielicht der Halle verlor. Zur Linken aber befand sich in etwa einer halben Meile Entfernung eine Öffnung in der Wand. Es handelte sich um ein Portal von enormer Größe, das einst von zwei schweren, steinernen Torflügeln verschlossen worden sein mochte. Doch jetzt lagen die beiden massiven Hälften zerschmettert an den Seiten des Eingangs. Es schien, als habe sie eine gewaltige Kraft aus den Angeln gesprengt.
Nachdem sich die Gefährten vorsichtig genähert hatten, sahen sie, dass hinter dem Portal ein hoher, breiter Gang anfing, der schnurgerade in die Tiefe führte. Große Steinplatten bedeckten den Boden, und in jede einzelne Platte war eine gläserne Rune eingelassen, die in hellem Rotorange glühte, so als habe jemand flüssiges Gestein in Kristall eingegossen. Tarean hatte das dumpfe Gefühl, dass ihm die Anordnung der Runen etwas sagen müsse. Aber er kam nicht darauf, an welchem Ort er Ähnliches schon einmal gesehen hatte.
Wortlos warfen sich die Gefährten Blicke zu. Sie hatten alle kein gutes Gefühl bei der Sache. Eine unterschwellige, schwer zu beschreibende Bedrohung ging von dem Gang aus, und sie ahnten, dass er sie an einen Ort führen würde, an dem sie lieber nicht sein wollten. Das
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