Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
den Dunkelreichen auf ihre Erlösung warteten. Sie sprachen zu ihm, leise und fern wie das Echo eines Windhauchs, der um die Mauern einer uralten Feste streift. Doch die Bedeutung ihrer Worte verlor sich in dem schwarzen Dunst, der seinen Geist umnebelte. Die Stimmen wurden drängender, buhlten um seine Aufmerksamkeit. Sie störten den Frieden des Nichtseins, in dem er sich verloren hatte.
Unwillig versuchte Tarean, sie fortzuwischen. Aber sie wollten nicht verschwinden.
Eine Stimme wurde deutlicher. Sie gehörte einer Frau, wie es schien, und sie rief einen Namen, der irgendetwas in seinem Inneren zum Klingen brachte. Tarean … Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass sie seinen Namen rief. Die Stimme klang traurig und verzweifelt. Wie gern hätte er ihr geholfen, ihr Leid gelindert, doch er wusste nicht, was er tun sollte.
Unbeholfen streckte er die Hand im Dunkel aus, um die unsichtbare Sprecherin zu berühren, ihr tröstend über den Kopf zu streichen.
Ein Gesicht schälte sich aus der Finsternis. Die Haut war grau. Langes, schwarzes Haar wallte um ebenmäßige Züge, und grüne Augen funkelten wie Edelsteine im Stirnreif eines Königs.
Tarean …
Er merkte, dass seine Hand in der Luft vor dem Gesicht der Frau schwebte. Die Frau – er runzelte die Stirn, als auf einmal ein Name durch die wie leer gefegten Gewölbe seines Geistes schoss: Auril … – hatte sie ergriffen und hielt sie fest. Er spürte die Wärme ihrer Handfläche, die Kraft in ihren Fingern. Es war ein schönes Gefühl, ihre – Aurils – Hand halten zu dürfen. Unwillkürlich lächelte er.
»Tarean.«
Und plötzlich war er wieder er selbst. Eine Flut von Wissen stürzte, wie durch einen gebrochenen Staudamm, auf seinen Geist ein: Kesrondaia, der Auftrag, die Glutlande, das Portal zu den Dunkelreichen. Im selben Moment klärten sich seine Sinne. Er spürte den harten Steinboden in seinem Rücken, eine warme Brise auf seiner Haut, hörte die Stimmen seiner Gefährten, sah …
Der Anblick verschlug Tarean den Atem. »Dreigötter«, hauchte er andächtig, richtete sich langsam auf und blickte sich mit weit aufgerissenen Augen um.
Sie befanden sich in einem Gewölbe, dessen Ausmaße jede Vorstellung sprengten. Säulen, dick wie die Türme einer Burg, erhoben sich im Abstand von vielleicht hundert Schritt um sie herum. Es mussten Dutzende, ja Hunderte sein, die sich in allen Himmelsrichtungen schier bis in die Unendlichkeit erstreckten und eine Höhlendecke trugen, die so hoch über ihnen lag, dass sie im Dunkel verschwand.
Tarean zog die Augenbrauen zusammen. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, was ihn störte: Sie konnten sehen und zwar überraschend weit, wenn man berücksichtigte, dass es nirgendwo in dem Gewölbe Lichtquellen zu geben schien. Er brauchte einen weiteren Augenblick, um zu erkennen, dass es die Säulen selbst waren, die ein diffuses Licht abstrahlten. Schriftzeichen, die entfernt an die Kristalldrachenrunen auf Tareans machterfüllten Waffen erinnerten, zogen sich auf ihnen in breiten Streifen vom Boden bis zur Decke, und sie waren von einem dumpfen rötlichen Schimmer erfüllt, der die gesamte Halle in ein unheilvolles Zwielicht tauchte.
»Es ist eindrucksvoll, nicht wahr?«, brummte eine dunkle Stimme. Bromm tauchte neben ihm auf und kratzte sich unbehaglich am Ohr.
Tarean nickte. »Wir haben die Dunkelreiche also wirklich erreicht …«
»Es sieht so aus«, pflichtete Bromm ihm bei. »Oder zumindest einen Ort, der sich bemüht, diesem Namen alle Ehre zu machen.«
»Geht es dir wieder gut?«, fragte Auril. Sie hatte seine Hand losgelassen, hielt sich aber immer noch an seiner Seite, für den Fall, dass seine Knie erneut unter ihm nachgaben.
Der Junge horchte in sich hinein. Er schien wieder vollends bei Sinnen und Herr seines Körpers zu sein. »Ja«, bestätigte er. »Aber was ist mit mir geschehen? Wie bin ich hierhergekommen? Und wo ist die Treppe?«
»Das wüssten wir alle gerne«, antwortete Auril. »Wir sind auf einmal hier erwacht. Eben glaubte ich noch, die Treppe durch den schwarzen Dunst hinabzusteigen, dann war da plötzlich nichts mehr. Und als ich wieder zu Bewusstsein kam, fand ich mich in dieser Halle wieder.«
Das entsprach in etwa Tareans eigenen Erfahrungen. Er erinnerte sich, dass er bei dem Sturz hinab in den Schlund von At Arthanoc ein ähnliches Gefühl der Unwirklichkeit verspürt hatte. Auch damals hatte er sich am Ende nicht mehr erinnern können, wie er die letzten Schritte
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