Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
die Ihr in die Falle gelockt und eingekerkert habt, zu befreien.«
Für einen Augenblick schaute ihn Ghorca’than mit unergründlicher Miene an. Dann warf der Herr der Tiefe den Kopf in den Nacken und brach in ein markerschütterndes Gelächter aus, das gar nicht mehr aufhören wollte und von den Wänden der Kammer widerhallte. »Mein Schüler berichtete mir bereits, dass du ein tapferer Narr bist, junger Sterblicher«, verkündete der Riese schließlich. »Aber das Ausmaß deiner Selbstüberschätzung vermag mich trotzdem zu erheitern. Selbst wenn ich dir gewähren sollte, diese Kammer lebend wieder zu verlassen, wäre es dir unmöglich, das Siegel zu brechen, mit dem ich das Gefängnis der Kristalldrachen verschlossen habe. Es war schon stark, als ich es errichtete. Doch in den seither vergangenen Jahren habe ich immer mehr Kraft darin hineinfließen lassen. Jetzt ist es unüberwindbar.«
»Seid Euch dessen nicht allzu sicher. Ich habe Esdurial, eine Klinge der Alten Macht, geschmiedet von den Steinernen, den Dienern der Kristalldrachen«, erklärte Tarean und hob das Schwert.
Der Herr der Tiefe schnaubte gereizt. »Ha! Das ist sie also, die unselige Waffe, die den Grimmwolf, meinen treuen Diener, vernichtet und Calvas entleibt hat. Auch sie zu Angesicht zu bekommen, war ich mehr als neugierig. Aber all dein Streben war umsonst, junger Sterblicher. Ich werde es nicht zulassen, dass du meinen Feinden die Freiheit schenkst.«
In einer Zurschaustellung von Furchtlosigkeit, die er nicht wirklich in seinem Inneren empfand, richtete Tarean das Schwert auf den vor ihm sitzenden Giganten. »So leicht gebe ich nicht auf, Herr der Tiefe. Euer schändliches Treiben wird schon bald ein Ende haben. Ihr werdet für Eure Taten zur Rechenschaft gezogen.«
»Dreister Narr!«, donnerte Ghorca’than, und eine Hitzewelle schlug über Tarean zusammen, als der Leib des Riesen zwischen den einzelnen Teilen seiner Schlackepanzerung regelrecht aufglühte. »Was weißt du schon von Schuld und Unschuld? Nicht ich bin der Zerstörer in diesem Krieg, sondern sie sind es, die Sterngeborenen, deine wertvollen Kristalldrachen.« Mit unheilvoller Miene beugte er sich vor. »Ich bin mir sicher, davon hat dir Kesrondaia nichts erzählt.«
»Sie hat mir genug erzählt!«, behauptete Tarean trotzig. Doch ein wankelmütiger Teil in seinem Inneren musste überrascht feststellen, dass das nicht stimmte. Genau genommen hatte ihm Kesrondaia überhaupt nichts über die Hintergründe der Gefangenschaft der Kristalldrachen verraten. Tarean war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass den Drachen durch einen finsteren Dämonenfürsten Unrecht angetan worden war.
»Alles Lug und Trug«, brüllte der Herr der Tiefe. Mit einem Ruck erhob er sich von seinem Sitzplatz und machte zwei drohende Schritte auf Tarean zu.
Unwillkürlich wich der Junge etwas zurück und hob zugleich den Drachenstab. Wenn der zornige Riese sich entschloss, ihn einfach mit seinen gewaltigen Hufen zu zermalmen, war diese Auseinandersetzung vorüber, bevor sie richtig begonnen hatte.
Doch der Herr der Tiefe ging stattdessen vor ihm in die Knie und beugte den gehörnten Schädel zu Tarean herab. Die Hitze seines Leibes und sein schwefliger Atem raubten dem Jungen beinahe die Sinne. »Einst war alles Land an der Oberfläche meine Welt und die meiner Kinder.« Er deutete zur Decke der Kammer hinauf und schlug sich dann bekräftigend mit der Faust auf die tonnenförmige Brust. »Die Ströme der Erde flossen überall, und das Feuer tat meinen Kindern wohl – gleich, ob sie brüllend über den Himmel flogen oder stumm im Schoß der Berge gruben. Doch dann kamen die Sterngeborenen und unterwarfen alle Lande, über die ich geherrscht hatte. Ein Teil meiner Kinder erlag ihrem Zauber, verbündete sich mit ihnen und wurde zu Abtrünnigen. Ihr nennt sie die Steinernen. Die Sterngeborenen töteten meine Kinder. Sie ließen die Ströme der Erde versiegen. Und mich verbannten sie in diese Tiefen, diesen Kerker.« Ghorca’than deutete mit einer zornigen Geste auf die gesprengte Kristallkugel in seinem Rücken.
Kerker? Äußerlich ließ Tarean sich nichts anmerken, doch innerlich horchte er auf. Das also waren die Dunkelreiche in Wirklichkeit immer gewesen. Ein Ort, an den die Kristalldrachen uralte Schrecken verbannt hatten. Das erklärte das steinerne Portal in der Wand der riesigen Halle. Und auch die Runen auf den Steinplatten in dem Gang, die Tarean jetzt als die Bannrunen
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