Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
Dafür gleißten die Bergkuppen nun, als seien sie mit flüssigem Gold übergossen.
»Ha!«, rief Janosthin und schlug sich mit der Faust in die flache Hand. »Ich wusste doch, dass mich diese Brüder im Brief des Chronisten an etwas erinnerten. Diese Berge dort vorn werden die drei Brüder genannt.«
Iegi machte ein zufriedenes Gesicht. »Dann sind wir Questoi auf der Spur. Wir sollten sofort losreiten.«
Sie wandten sich soeben der Hütte zu, um Halfbadur von ihrer Absicht zu unterrichten, als der Sette auch schon zur Tür herauskam. Sein Anblick ließ sie verblüfft innehalten.
Er hatte sich gewaschen, und seine rote Haarpracht sah nicht mehr so verfilzt aus wie noch am Tag zuvor. Das graue Wams hatte er gegen ein dickes, gestepptes Gewand ausgetauscht, über das er ein beinahe knielanges silbernes Kettenhemd geworfen hatte. Darüber wiederum trug er den blau-weißen Waffenrock eines Kristalldrachenritters, und im Gegensatz zu dem Rock von Aurils Mutter wirkte der seine beinahe wie neu. Ein breiter Ledergürtel hielt Rock und Kettenhemd. Das Breitschwert hing an seinem Gürtel, der Schild an einem Riemen über seinem Rücken. Eine lederne Reisetasche mit Proviant und eine eingerollte Wolldecke vervollständigten seine Ausrüstung.
»Was steht ihr da und glotzt?«, beschwerte sich der settische Ritter mit grimmigem Blick. »Ziehen wir los, um die Welt zu retten!«
Der Ritt nach Osten dauerte den guten Teil eines Tages und verlief im Wesentlichen ereignislos. Einmal schien es Tarean, als erspähe er unten in einer Talsenke eine kleine Rotte Wolflinge, die im Eilmarsch von Norden nach Süden zog, aber die Grawls bemerkten die am Himmel vorüberziehenden Reiter nicht.
Als am späten Nachmittag der rechte der drei annähernd gleich hohen Berge ihr Blickfeld auszufüllen begann, konnten sie sich der Frage nicht länger entziehen, wie sie Questoi dort eigentlich finden sollten. Das Sternbild hatte ungefähr auf die linke Flanke des Berges gezeigt, und Tarean hoffte, dass der Gelehrte sich dessen auch bewusst gewesen war. Bis zum Einbruch der Dämmerung suchten sie nicht nur die Bergwiesen in der unteren Hälfte des Felsmassivs nach einer Hütte oder einem sonstigen Anzeichen von Leben ab, sie flogen auch die abschüssigen Grate in Gipfelnähe ab, spähten in Schluchten und ließen ihre Blicke über die Steilwände gleiten. Doch ihre Suche blieb erfolglos.
Es war Moosbeere, die ihnen schließlich mit dem letzten Licht des Tages den rechten Weg wies. Denn kaum war das Irrlicht erwacht, bemerkte es eine deutliche Quelle der Alten Macht in der Nähe – allerdings nicht am Berghang selbst, sondern im Tal zwischen dem rechten und dem mittleren der drei erdgebundenen der sechs Brüder.
»Daran hätten wir auch gleich denken können«, murrte Halfbadur, der allen guten Vorsätzen, wieder ein Ritter zu sein, zum Trotz zwischendurch immer mal wieder zu seinem Metallfläschchen mit dem scharf riechenden Inhalt gegriffen hatte. Auf Tareans fragenden Blick hin fuhr er fort: »Questoi ist blind. Warum sollte er hoch droben im Berg herumklettern? Er kann schließlich kaum die schöne Aussicht genießen.«
Der Ort, an den Moosbeere sie führte, hielt eine Überraschung für sie bereit. Tarean war sich nicht sicher, welche Art von Behausung er angesichts der bisherigen Geschichten über Questoi anzutreffen erwartet hatte. Irgendwie hatte er allerdings nicht damit gerechnet, dass es auf der Kuppe des flachen Hügels, der inmitten des schmalen Talkessels lag, einfach gar nichts geben würde, kein Haus, keine Hütte, nicht einmal Spuren einer Feuerstelle. Das flache, etwa zehn Schritt durchmessende Rund war nichts weiter als nackter Fels, aus dessen Westseite ein kleiner, munter plätschernder Gebirgsbach entsprang und auf dem Geröll verstreut lag wie Holzspielzeug im Gemach eines Fürstensohnes.
Sie landeten am Rand der Kuppe, stiegen von den Rücken ihrer Reittiere ab und sahen sich verwundert um. »Bist du sicher, Moosbeere, dass wir hier richtig sind?«, erkundigte sich Iegi zweifelnd.
»Natürlich bin ich sicher«, versetzte das Irrlicht. »Sonst hätte ich euch doch nicht hierhergeführt. Hier drüben … Hier ist es.« Als faustgroße Lichtkugel huschte Moosbeere durch die Dämmerung bis zu einem moosbedeckten Stein, der direkt oberhalb der Quelle lag.
»Wisst ihr, was seltsam ist?«, meldete sich Halfbadur stirnrunzelnd zu Wort. »Dieser Ort … Questoi hat ihn nicht zufällig ausgewählt. Schaut das Tal hinab. Wenn
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