Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
Ruhe, als könne ihm der Dunkelgeist nicht das Geringste anhaben, spazierte Questoi auf die Bäume zu.
Der Schatten fand unterdessen zu seiner endgültigen, unmöglich dürren Gestalt und kam mit langen Schritten auf sie zugestakst, die Arme erhoben und die langen, klauenförmigen Finger gierig ausgestreckt. Rauch stieg von ihnen auf, als habe er sie sich in einem Schmiedefeuer schwarz verkohlt.
Als die beiden ungleichen Kontrahenten sich beinahe erreicht hatten, hob Questoi seinen Stab und zeichnete mit erstaunlicher Schnelligkeit und Eleganz eine verschlungene Rune in die Luft. Dabei raunte er Worte in einer Sprache, die Tarean nicht verstand.
Der Dunkelgeist streckte den linken Arm aus. Seine Hand dehnte sich, als er den Chronisten berühren wollte. Doch auf einmal hielt er abrupt inne, als sei er gegen ein unsichtbares Hindernis gestoßen, und Tarean glaubte, ein verwirrtes Flackern in den weißen Glutpunkten seiner Augen zu erkennen – was vermutlich Unsinn war, denn der Junge konnte sich nicht vorstellen, dass ein Schatten überhaupt Gefühle wie Verwirrung zu empfinden vermochte.
»So, nun wollen wir uns doch einmal wie zwei normale Menschen unterhalten«, sagte Questoi und stützte sich mit zufriedener Miene auf seinen Stab. Er hob die linke Hand, als wolle er einen Einwand des Dunkelgeists abwehren. »Ich weiß, ich weiß, das sind wir beide nicht, und ich hätte auch genauso gut wie zwei normale Iknish sagen können, aber die Redewendung stammt nun mal von den Menschen. Außerdem gefällt es mir nicht, dass du schon abzulenken versuchst, bevor ich meine erste Frage gestellt habe!«
Obwohl der Schatten nach Tareans Dafürhalten noch überhaupt keinen Laut von sich gegeben hatte, hob der Gelehrte den Wanderstab und piekte seinem Gegenüber damit in die Leibesmitte. Der Nebel wich vor dem Stock zurück, sodass für einen kurzen Moment ein Loch im Bauch des Dunkelgeists entstand, durch das man hindurchblicken konnte. Erst nachdem der Chronist seinen Stecken, der zweifellos weit mehr als nur ein einfacher Wanderstab war, zurückgezogen hatte, flossen die rußigen Schwaden wieder zusammen.
»Gut, du siehst also, dass ich nicht in der Stimmung für Spielchen bin«, sagte Questoi. »Ich muss nachher noch einen Bund fürs Leben eingehen – zumindest das Leben meiner Braut –, ich habe also nicht viel Zeit. Deshalb verrate mir zügig: Woher kommst du, was ist dein Auftrag, wer hat dich geschickt, gibt es noch mehr von deiner Art, und seit wann sprecht ihr in dieser seltsamen Mundart? Du klingst wie ein betrunkener Nondurier.«
Während sich die Gefährten vorsichtig und mit gezogenen Waffen hinter Questoi versammelten, setzte dieser seine Unterhaltung mit dem Schatten fort, von der sie allerdings nur die Hälfte mitbekamen, die der Chronist laut aussprach. Entweder verständigten sich die Dunkelgeister ähnlich wie die Steinernen und die Kristalldrachen mithilfe von Gedanken, oder der kauzige Scholar plauderte munter mit sich selbst, ohne sich daran zu stören, dass sein Gegenüber stumm blieb wie der Morgennebel auf einem Friedhof. Tarean hielt im Augenblick beides für möglich.
Immer wieder versuchte der Dunkelgeist, seine Arme auszustrecken oder nach links oder rechts zu staksen, aber durch welche Kraft auch immer Questoi ihn an Ort und Stelle gebunden hatte, sie war nach wie vor wirksam und verhinderte, dass sich der Schatten mehr als einige Handbreit bewegte.
»Aha!«, sagte Questoi unterdessen. »Außerordentlich interessant.« Dann schwieg er kurz und rief gleich darauf: »Versuche nicht, mich für dumm zu verkaufen! Ich merke doch, dass du mir etwas verheimlichst.« Erneut stieß er mit seinem Stab nach dem Schatten, dessen Augen daraufhin regelrecht aufglühten – ob aus Zorn oder Furcht, vermochte außer Questoi keiner von ihnen zu sagen. Der Chronist lächelte fröhlich. »So ist es schon besser.«
Moosbeere schwebte über den Gebirgsbach und gesellte sich wieder zu ihnen. »Vernichte ihn«, flüsterte sie. »Spiel nicht mit ihm und trau ihm nicht. Vernichte ihn, wenn du kannst.« Ihre schmetterlingsartigen Flügel zitterten.
Tarean hob die Augenbrauen, während er zu seiner Gefährtin hinüberschaute. »Moosbeere? Was ist los? So kenne ich dich gar nicht!«
»Ich weiß es auch nicht«, erwiderte das Irrlicht kläglich, während es Schutz auf Tareans Schulter suchte. Ein Schauer durchlief Moosbeeres winzigen Körper. »Ich weiß nur, dass ich mich fürchte. Er ist die Finsternis, die alles
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