Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
zwischen ihnen. Auril wusste nicht, was sie sagen sollte. Ein Teil von ihr wollte aufspringen und schreiend auf ihre Mutter einschlagen, weil diese so selbstsüchtig gewesen war. Aber habe ich das Recht dazu? Ich bin ihr so erschreckend ähnlich. Noch vor wenigen Monden stand ich auf den Mauern von Cayvallon, und obschon ich mich nach Tarean sehnte, wusste ich, dass ich mit Heim und Herd nicht meine Tage beschließen wollte.
Auf einmal eröffnete sich ihr ein vollkommen neuer Blickwinkel auf den Streit, den sie im letzten Herbst nach der Schlacht um At Arthanoc mit ihrem Vater geführt hatte und aufgrund dessen sie Tarean einstweilen verlassen hatte und mit Bromm und Sinjhen nach Cayvallon gegangen war. Auril fragte sich, ob ihr Vater unbewusst nicht auch deshalb ihre Liebe zu Tarean hintertrieben hatte, weil er fürchtete, dass sie als Tochter ihrer Mutter am Ende genauso handeln könnte wie Zaeena. Damals war Tarean noch ein unerfahrener Junge und ich die unbezähmbare Abenteurerin. Und auch wenn Sinjhen sagte, dass ich Tarean Flausen von Heim und Hof in den Kopf setzen könnte und ihn damit vom Weg, den das Schicksal ihm auserkoren hatte, abbringen würde, fürchtete er doch in Wahrheit vielmehr, dass Tarean mich dazu überreden könnte, sesshaft zu werden, und unsere Liebe daran zerbrechen würde. Sinjhen musste einfach glauben, dass sich die Vergangenheit wiederholen würde. Armer Vater. Wie wenig du uns beide doch verstanden hast.
»Sprich mit mir, Auril«, sagte Zaeena in die Stille hinein. »Du hast das hier angefangen.«
»Warum bist du zurückgekommen? War es wirklich nur die Nachricht, dass der Krieg zu Ende ist?« Die junge Frau sah ihre Mutter eindringlich an.
Diese erwiderte ihren Blick, brachte aber kein Wort über die Lippen. Über ihr hartes, vom Krieg verhärmtes Antlitz huschte ein Hauch von Trauer.
Da verstand Auril auf einmal. Ihre Augen wurden groß. »Du bist zurückgekommen, weil du einsam warst. Deine Familie, der Orden, all deine Gefährten hatten dich verlassen, und auf einmal hattest du niemanden mehr …«
In Zaeenas grün glühenden Augen flackerte es, als sie die Hand hob und Auril übers Gesicht strich. »Du bist mir zu ähnlich, meine Tochter«, flüsterte sie rau. »Mach nicht die gleichen Fehler, die ich begangen habe.« Dann stand sie abrupt auf, sammelte schweigend ihre Rüstungsteile ein und verließ das Feuer, um in der Dunkelheit hinter den Heidesträuchern zu verschwinden.
In Aurils Rücken begann Grinjah sich zu regen. Der Catarr zog die Pfoten an den Leib und erhob sich. Mit einem Furcht einflößenden Gähnen streckte er die Vorder- und die Hinterbeine. Anschließend trottete die Großkatze lautlos hinter ihrer Herrin her.
Auril blieb allein und verwirrt am Feuer zurück. Sie hatte ihrer Mutter ein Geständnis abgerungen, aber irgendwie machte das alles noch schwieriger als vorher. Mit leichtem Schamgefühl musste sie sich eingestehen, dass sie es sich mit ihrem Hass auf Zaeena immer leichtgemacht hatte. Es war gut, jemanden zu haben, dem man alle Schuld zuschieben konnte – an ihrer seltsamen Kindheit, der angespannten Beziehung zu ihrem Vater, einfach allem. Doch neben dem alten Groll, an den sie sich immer noch klammerte – den letzten beständigen Teil ihres bisherigen Lebens –, verspürte sie ungewollt Mitleid für ihre Mutter in sich aufkeimen. Zaeena hatte so unbedingt darum gekämpft, auf die eine oder andere Weise glücklich zu werden, dass sie letzten Endes eine vollkommene Niederlage erlitten hatte. Auch für sie, wie für uns alle, beginnt in diesen Tagen die Zukunft neu … Oder sie endet in einer Welt der Finsternis. Die Mundwinkel der Albin zuckten kurz in einem verkniffenen Lächeln.
Als Zaeena und Grinjah zurückkehrten, war die Ritterin wieder in ihre mattschwarze Plattenpanzerung gehüllt und wirkte so unnahbar wie bei ihrer ersten Begegnung. Sie nickte Auril knapp zu und griff nach ihren Putzutensilien, um sie in ihrer Tasche zu verstauen. Doch als sie die Tasche öffnete, hob sie überrascht die Augenbrauen. Ein sanfter Lichtschimmer drang daraus hervor. »Tarean versucht uns zu erreichen«, sagte sie in verwundertem Tonfall und zog die silberweiß funkelnde Phiole mit den Überresten des Wassers des Sehens hervor.
»Tarean?« Auril erhob sich aufgeregt.
»Oder einer deiner anderen Freunde. Wir werden es gleich wissen.« Aurils Mutter holte eine flache Schale hervor, füllte sie mit Wasser aus ihrem Trinkschlauch und träufelte vorsichtig
Weitere Kostenlose Bücher