Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
plötzlich kam ein Summen auf. Als würde ein großer Schwarm Bienen durch die Säulenhalle fliegen, huschte das Summen von einer Ecke zur anderen und sammelte sich schließlich zwischen den Säulen direkt vor ihnen. Die Runen auf den Steinen glühten mittlerweile in einem hellen Gelb.
Aurils Pferd legte unruhig die Ohren an und tänzelte einen Schritt zurück, doch die Albin hielt es fest am Zügel und redete beruhigend auf das Tier ein.
Das Geräusch vor ihnen schien sich zu beinahe stofflicher Gestalt zu verdichten. Auf einer Fläche, die etwas größer war als der gegenüberliegende Monolith, fing die Luft an zu flimmern, wie an einem heißen Sommertag über einer felsigen Ebene. Aus dem Flimmern wurden Schlieren, hinter denen die Hallenwand in einem Wirbel aus Braun und Grau verschwand. Im nächsten Augenblick mischten sich andere Farben in das luftige Trugbild – Blau und Grün –, und mit einem Mal gab es ein Geräusch, das an ein Donnergrollen erinnerte. Ein wellenförmiges Zittern lief durch das ganze Bild, und unvermittelt stand es still.
Auril sog scharf die Luft ein. Vor ihnen, nur wenige Schritte entfernt, hatte sich ein Fenster in der Wirklichkeit geöffnet, hinter dem eine leicht abschüssige grüne Wildwiese lag, die auf ein kleines Dorf am Ufer eines breiten Stromes hinabblickte. Das Ganze wirkte so echt, als müsse man nur die Hand ausstrecken, um mit den Fingern durch das saftige Gras streichen zu können. Oder aber einen einzigen Schritt machen, um an diesen Ort zu gelangen , dachte die Albin mit einer Mischung aus Furcht und Erregung.
»Rasch. Geht. Ich weiß nicht, wie lange ich das Portal aufrechterhalten kann«, vernahmen sie die Stimme Brahes aus dem Monolithen. Die Augen des Kristalldrachenritters waren noch immer geschlossen, und er hielt die Hände wie beschwörend ausgestreckt.
»Danke, Brahe«, sagte Hattson. »Wir werden gut auf Eure Tochter aufpassen. Und wir kehren zurück, sobald es uns möglich ist. Das ver…«
Mehr bekam Auril nicht mit, denn im Gegensatz zu dem grauhaarigen Ritter wusste sie, dass man manchmal, wenn jemand »rasch« sagte, auch tatsächlich rasch handeln musste. Also zog sie ihr Pferd am Zügel, kniff die Augen zu, schickte ein Stoßgebet an die Kristalldrachen und trat durch das Portal.
Für einen kurzen Moment verspürte sie ein unangenehmes Ziehen am ganzen Körper, als wolle sich ihr Leib zu unmöglicher Länge ausdehnen, dann trat sie in weiches Gras, und der frische Duft einer blühenden Wiese an einem Sommermorgen umfing sie von allen Seiten. Die Albin blickte sich um und konnte es kaum fassen. Sie befand sich tatsächlich irgendwo in Thal – oder zumindest an einem Ort, der Thal zum Verwechseln ähnlich war. In ihrem Rücken hing das Portal etwa einen Fuß über der Erde in der Luft. Seine Oberfläche zitterte leicht. »Kommt schon«, rief sie und winkte den anderen aufgeregt zu.
Bromm war der Nächste, der hindurchkam, gefolgt von Haffta und Zaeena. Callyn hatte bereits zwei Schritte auf das Portal zu gemacht, als sie noch einmal umkehrte, zu dem Monolithen zurückrannte und den kalten Kristall küsste. Hattson, der bereits neben dem Portal stand, es allerdings noch nicht passiert hatte, bedeutete ihr mit einer Geste, sich zu eilen. Gemeinsam traten der Ritter und das Mädchen über die Schwelle, die Nyrdheim von einem kleinen Dorf weit, weit im Süden der Burg trennte.
In den fernen Wolkenbergen hob Lord Brahe ein letztes Mal die Hand zum Gruß, dann fing das Bild an zu verschwimmen, löste sich in Schlieren auf, anschließend in ein Flirren, und einen Herzschlag später war alles vorbei. Sie standen auf einer Wiese in Thal, und wäre Callyn nicht bei ihnen gewesen, hätte Nyrdheim ihnen wie ein seltsamer Traum erscheinen mögen, durch den sie einige Stunden lang gewandelt waren.
Dreizehn Tage dauerte die Reise, die Tarean, Iegi, Janosthin und Halfbadur zurücklegen mussten, um von den Grauen Bergen nach Bristaja zu gelangen. Sie flogen erst nach Bergspitze zurück, wo sie ihren Proviant auffrischten, und dann weiter nach Südwesten. Ihr Weg führte sie über Undur hinweg, an Steilklipp – wo sie eine kurze Rast an Raisils Grab einlegten – vorbei, den Bruch hinab und schließlich an der Grenze zwischen Thal und Nondur entlang auf die Stadt an der Küste des Westlichen Meeres zu.
An den Abenden nahm sich Halfbadur, wie angeboten, die Zeit, um Tareans Schwertkünste zu verfeinern. Der Junge merkte sehr bald den Unterschied zwischen der
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