Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
befreien.
Doch es ging nicht mehr. Weder seine Arme noch seine Beine wollten sich aus dem Rankengestrüpp lösen. Verwirrt blickte Tarean an sich hinab, nur um mit plötzlichem Erschrecken festzustellen, dass sich jeweils knapp ein halbes Dutzend fingerdicker Zweige um seine Gliedmaßen geschlungen hatten. Und es blieb nicht dabei. Mit vor Unglauben geweiteten Augen beobachtete der Junge, wie sich weitere Ranken und Zweige gleich einem aufgescheuchten Nest grünbrauner Schlangen zielstrebig in seine Richtung bewegten. Von einer unbekannten Kraft zu unheimlichem Leben erweckt, glitten sie raschelnd über seine Arme und Beine, fuhren wie blind tastend über seinen Lederharnisch hinweg und schoben sich in Ritzen und Löcher hinein.
»Hilfe! Was ist das für eine unheilige Waldmagie? Goldblüte!« Mit aller Kraft bäumte er sich in seinen pflanzlichen Fesseln auf, bekam seinen Schwertarm frei und wollte damit auf die Ranken um seine Oberschenkel einschlagen. Doch ein vorpeitschender Trieb erwischte ihn schmerzhaft am Handrücken, sodass er für einen kurzen Moment seinen Griff um den Knauf lockerte. Dieser kurze Moment genügte, um ihn zu entwaffnen. Zwei dickere Zweige wanden sich um die Klinge und zogen sie aus seiner Reichweite. Tarean gab einen Schrei des Zorns von sich, als sich seine Finger nach dem Schwert streckten, es aber nicht erreichten.
»Was machst du da?«, vernahm er unvermittelt Goldblütes Stimme oberhalb seines Kopfes.
Er verrenkte den Hals, um das Irrlicht anzublicken. »Wie sieht es denn aus? Ich habe ein wenig Ärger mit deinem Dornkraut.« Etwas kitzelte ihn am Hals, und er senkte das Kinn, um eine Ranke abzuwehren, die sich um seine Kehle zu schlingen versuchte. »Unternimm doch etwas. Ich finde das hier langsam nicht mehr lustig.« Er rüttelte an seinen Fesseln, was zur Folge hatte, dass sich die Ranken nur noch fester um seine Arme und Beine wickelten.
»Du bist selbst schuld!«, versetzte das Irrlicht mit einem Blick auf die Schneise, die der Junge bis dahin geschlagen hatte. »Warum trampelst du auch durch das Dornkraut wie ein Yammoth durchs Unterholz. Du tust ihm doch weh.«
»Ich tue dem Gestrüpp weh?«, echote Tarean ungläubig.
»Na, was glaubst du denn, du Dummkopf? Hast du nicht Zweige und Ranken zerrissen und abgehackt? Natürlich tut das dem Dornkraut weh. Und es ist sein gutes Recht, sich dagegen zu wehren und dir deine Waffe abzunehmen, die du ja ganz gerne zu ziehen scheinst, um damit deine Probleme zu lösen.«
»Bevor ich dich kennengelernt habe, war ich kein einziges Mal gezwungen, innerhalb der Grenzen des Cerashmon mein Schwert zu ziehen«, fauchte Tarean.
»Also, meinetwegen wäre das nicht nötig gewesen. Und wenn mich nicht alles täuscht, war ich stets diejenige, die wusste, was zu tun ist, um uns aus der Patsche zu helfen.«
»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn dir auch diesmal etwas einfiele.« Der Junge ächzte. Um seinen Hals hatte sich nun doch ein schlanker, hellgrüner Trieb gewickelt, wie das Ende einer geflochtenen Bullenpeitsche. Tarean versuchte, seinen Kopf freizubekommen, doch der Trieb zog sich zusammen und schnürte ihm die Luft ab.
»Wehr dich nicht dagegen«, riet ihm Goldblüte, während sie um ihn herumschwebte. »Das Dornkraut versucht nur, deinem Wüten Einhalt zu gebieten. Es ist nicht von sich aus böse. Es ist nur vorsichtig. Nicht wahr, mein Freund?« Das Irrlicht strich einem der kleinen, ovalen Blätter, die an den Zweigen wuchsen, über die glatte Oberseite.
»Nicht wehren?«, japste Tarean, dessen ganzer Körper danach schrie, gegen die zudringlichen Ranken anzukämpfen.
»Nicht wehren«, bestätigte Goldblüte. »Entspann dich einfach. Mach es dir bequem. Das Dornkraut wird dich tragen.«
Da gab Tarean seinen Widerstand auf, schloss für einen Moment die Augen und zwang sich, tief ein- und auszuatmen. Sein Herz raste, und er zitterte regelrecht vor Anspannung. Mit enormer Willensanstrengung gelang es ihm schließlich, sich zu beruhigen.
»Schon besser«, piepste Goldblüte an seiner Seite.
»Und jetzt?«, fragte Tarean.
»Jetzt setzen wir unsere Reise fort.«
Als wären die Worte des Irrlichts ein Befehl gewesen, begannen die Ranken, die wundersamerweise zur gleichen Zeit wie der Junge den Kampf eingestellt hatten, sich wieder zu bewegen. Die dünneren Triebe lockerten ihren Griff um seinen Körper und zogen sich gleitend zurück. Die dickeren hoben ihn unterdessen von den Füßen und in die Waagerechte, sodass er auf einmal,
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