Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
Baumes. Einen verwirrenden Augenblick lang hatte Tarean den Eindruck, in ein weißes Nichts, eine Welt aus purem Licht gestolpert zu sein. Er vermochte weder den Boden unter seinen Füßen noch irgendwelche Wände oder eine Decke über seinem Kopf zu erkennen. Die Welt um ihn herum war in Weiß und Gold getaucht. Sonst war da nichts.
Im nächsten Moment wurde sich der Junge des Umstands bewusst, dass er ein unerwartetes Gewicht mit sich trug. Überrascht senkte er den Blick und gewahrte Moosbeere, die schlaff in seinen Armen lag. Sie war nicht mehr das handtellergroße Geschöpf, das er soeben aus der Schatulle geholt hatte, sondern die zwar elfenhaft zarte, doch eindeutig menschengroße Frau, als die sie ihm zuletzt in der Siegelkammer in den Tiefen der Dunkelreiche erschienen war. Sie hatte die Augen geschlossen, ihre makellose, helle Haut hatte allen inneren Glanz verloren, und durch die seidigen Flügel und das hauchdünne Goldgespinst ihres Kleides hindurch spürte Tarean die Kälte des Todes, die von dem Leib des Irrlichts Besitz ergriffen hatte.
Von der plötzlichen Verwandlung überrascht, sank er auf die Knie, um zu verhindern, dass Moosbeere seinem unsicheren Griff entglitt. Er spürte, wie sich eine eiserne Klammer um seinen Brustkorb legte, und rang mit sich, um beim Anblick der leblosen Gefährtin nicht einmal mehr in Tränen auszubrechen. Es war ein Kampf, den er verlor. Verdammt, ich hätte damit rechnen müssen, dass so etwas passiert , dachte er wütend auf sich selbst, weil er auch drei Wochen nach Moosbeeres Tod seine Trauer noch nicht beherrschen konnte, und zugleich zornig, dass er nicht so aufrichtig sein konnte, den Schmerz zuzulassen, sondern versuchte, ihn zu unterdrücken.
Tarean presste die Lippen zusammen und blinzelte ein paar Mal heftig. Als das nicht half, seine von Tränen verschleierte Sicht zu klären, löste er den rechten Arm von Moosbeere und wischte sich mit dem Ärmel einmal energisch übers Gesicht. Gleichzeitig schniefte er und räusperte sich, um den Kloß loszuwerden, der sich in seiner Kehle gebildet hatte.
Als er den Arm wieder senkte, fiel ihm auf, dass seine Hand schimmerte. Einen Herzschlag lang verspürte er Verwirrung, doch dann wurde ihm klar, dass es der Arm war, den er seinerzeit tief in die Brust der gefangenen Kristalldrachin Kesrondaia gerammt hatte, um aus ihrem sonnenheiß gleißenden Inneren den Sternkristall, die Quelle ihrer Macht, hervorzuholen, mit dessen Hilfe er ihre Artgenossen aus ihrem Gefängnis in den Dunkelreichen befreit hatte. Eine Folge der Berührung mit dem Blut der Drachin war, dass sein Arm seitdem von den Fingerspitzen bis zur Schulter wie von Feenstaub bestäubt zu glitzern anfing, wann immer Tarean sich an Orten befand, die von der Alten Macht stark durchdrungen waren. Der Baum muss die Quelle der Alten Macht sein, die ich bereits gespürt habe, als ich mich dem Dornkraut näherte , erkannte er.
Eine warme Fingerspitze berührte ihn sanft am Kinn und brachte ihn dazu aufzublicken. Tarean stieß ein verblüfftes Keuchen aus. Er war nicht mehr allein!
Vor ihm hatte sich ein lockerer Halbkreis von vielleicht einem Dutzend Mädchen und junger Frauen gebildet, die leise flüsternd beisammenstanden und ihn aus großen, mal blauen, mal braunen, mal violetten Augen anschauten. Mit ihrer hellen Haut, den hübschen Gesichtern und dem blonden, meist langen Haar ähnelten sie einander, als wären sie Schwestern, ein Umstand, der zudem durch ihre zwar unterschiedlich geschnittenen, aber einheitlich gold oder bronzefarben schimmernden Gewänder betont wurde. Es dauerte zwei lange Herzschläge, bis Tarean begriff, doch als er sich der schillernden Flügel auf den Rücken der Frauen bewusst wurde und das Leuchten ihrer Körper bemerkte, wurde ihm klar, dass er von Irrlichtern umgeben war, die – wie Moosbeere auch – an diesem magischen Ort ihr Erscheinungsbild gewechselt hatten.
Eine der Frauen stand direkt vor ihm. Sie hatte sich anmutig zu ihm herabgebeugt, und die Finger ihrer schlanken Hand lagen noch immer unter seinem Kinn. Als sie sah, dass sie seine Aufmerksamkeit erregt hatte, zog sie die Hand zurück und schenkte ihm ein gütiges Lächeln. »Willkommen in Tesh Ilmarin, Tarean.«
3
LICHT UND EWIGKEIT
»Wer … wer seid Ihr?«, stotterte Tarean.
»Ich bin Mondentau«, stellte sich das Irrlicht vor, während es sich aufrichtete. Die wie die anderen Vertreterinnen ihres Volkes alterslos schöne Frau trug ihr dunkelblondes Haar
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