Target 5
Andererseits hatte er sich auch immer in der Wärme der sibirischen Kachelöfen geaalt, wenn er ins Haus kam. Kramer dagegen schnappte nach Luft.
»Ich verstehe nicht, warum Sie sich plötzlich für Michael Gorow interessieren«, krächzte er mit trockener Stimme. »Was soll er mit dieser jüdischen Sache zu tun haben?«
»Sie werden das erst im nächsten Jahr kapieren, genau wie all die anderen. Und deshalb sitze ich auf diesem Stuhl, weil ich Dinge sehen kann, bevor sie überhaupt passieren.«
Papanin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände im Nacken. »Es war die Mannschaftsliste, die mich auf die Spur gebracht hat.«
»Sie meinen den Zweiten Steuermann, Peter Gorow?«
»Sie werden die Gespenster also doch noch schnappen.« Papanin betrachtete den Balten mit einem starren Blick. »Falls die Sie nicht zuerst erwischen. Erinnern Sie sich an den Fall Rachel Lewitzer, diese Jüdin, die versuchte zu fliehen und dabei die Treppe hinunterfiel?«
»Sie brach sich das Genick…«
»Und Michael Gorows Herz. Wußten Sie das?«
»Ich hab’ so was gehört…«
»Sie wurde vertuscht – diese Beziehung – wegen der Stellung, die Michael Gorow einnimmt. Wir haben nach einem dreckigen kleinen Boten gesucht, der große Summen aus Amerika einschmuggelt, irgend jemanden, der bei seiner Einreise am Flughafen jederzeit kontrolliert werden könnte. Ich glaube, sie sind gerissener gewesen…« Papanin legte eine Pause ein, um seinen Volltreffer wirkungsvoll zu landen: »Ich glaube, Michael Gorow, unser Meeresforscher persönlich, bringt das Geld ins Land.«
Kramer war verblüfft, entsetzt. Gebannt schaute er auf Papanin und versuchte zu erraten, was er im Sinn hatte, aber das war ein schier unlösbares Rätsel. »Das können Sie nicht im Ernst meinen«, sagte er schließlich. »Woher sollte er das Geld kriegen?«
»Das ist ja der Clou! Er hat drei Jahre in der Arktis verbracht mit der Planung und Verlegung des Katharina-Systems von Kabeln und Sonar-Bojen entlang dem Meeresboden. Er besuchte oft amerikanische Eisinseln, um zu sehen, was die so vorhatten.« Papanin schlug mit seiner riesigen Faust auf den Tisch. »Und das waren die Gelegenheiten – diese Besuche auf den amerikanischen Stützpunkten –, bei denen sie ihm das Geld zugesteckt haben. Er wurde nie durchsucht, wenn er zurückkam – daran hätte niemand im Traum gedacht.«
»Aber warum?« Kramer war verwirrt. »Warum sollte er das tun?«
»Seine verdammte jüdische Geliebte hat ihn dazu überredet. Er war drei Jahre lang mit ihr befreundet, bevor sie starb – und er tut es noch immer, ihrem Andenken zuliebe oder aus irgendeiner anderen verrückten Gefühlsduselei!«
»Das ist unglaublich…«
»Es ist logisch!« brüllte Papanin. »Er hat seinen Bruder Peter, den Zweiten Steuermann, diesen Monat in Kiew getroffen, als sie beide Urlaub hatten. Peter kommt hierher zurück, um an Bord seines Schiffes zu gehen – und auf dem Weg trifft er im Park diesen Amerikaner Winthrop. Er hat Winthrop eine mündliche Nachricht überbracht – von seinem Bruder Michael.«
»Wir müssen vorsichtig sein«, warnte Kramer. »Michael Gorow ist ein Freund von Marschall Gretschko * .«
»Gretschko ist ein arrogantes Schwein. Wenn ich mit Gorow recht behalte, dann garantiere ich Ihnen, daß Gretschko ihn kaum gekannt haben wird.«
»Trotzdem ist es gefährlich…«
»Vielleicht, aber es gibt noch jemanden, an den wir uns halten können – Peter Gorow, der ist nur Matrose. Sie haben die gegenwärtige Position der Girolog in Erfahrung gebracht?«
»Sie ist fünf Fahrtstunden von Reval entfernt…«
»Schicken Sie sofort ein Flugzeug nach Reval, das auf Gorow warten soll. Funken Sie dem Kapitän, er soll auf direktem Wege Reval anlaufen. Fünf Stunden bis zum Hafen, je eine halbe Stunde hin und zurück bei beiden Flughäfen, eine Stunde Flugzeit hierher. Peter Gorow müßte in sieben Stunden in meinem Büro sein – Sonntagmorgen drei Uhr. Warum stehen Sie hier noch rum, Kramer?«
Papanin, wieder allein in seinem überheizten Büro, zog sein kleines Reiseschachspiel hervor und konzentrierte sich auf das Brett. Der Sibirier, ein Mann mit vielen Talenten, war sowjetischer Großmeister im Schach. Im Juli würde er zum Schachmeisterschaftsspiel Spassky gegen Fischer auf Island sein. Offiziell würde er als einer von Spasskys Beratern fungieren; inoffiziell als Hauptrepräsentant der Sowjetunion, um die Sicherheitsvorkehrungen im Auge zu behalten.
Igor
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