Tarzan 02 - Tarzans Rückkehr
blickte schnell hinter sich und erkannte die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Der Löwe war kaum dreißig Schritt von ihnen entfernt, dieselbe Distanz trennte sie von ihrer Zufluchtsstätte. Clayton war lediglich mit einem dicken Knüppel bewaffnet – gegen einen hungrigen Löwen ein ebenso wirksames Abwehrmittel wie eine Spielzeugpistole mit Knallkorken.
Der vom Hunger gepeinigte Löwe hatte schon seit langem die Nutzlosigkeit seines Brüllens und Fauchens eingesehen, wenn er auf Beute aus war, aber diesmal, da sein Opfer ihm so sicher war, als fühlte er schon das weiche Fleisch unter seiner noch mächtigen Pranke, riß er den Rachen auf und machte seinem lange aufgestauten Zorn in einem anhaltenden, ohrenbetäubenden Gebrüll Luft, daß die Luft erzitterte.
»Lauf, Jane!« rief Clayton. »Schnell! Lauf in Deckung!« Aber sie stand wie gelähmt, ihre Muskeln gehorchten ihr nicht, und sie starrte reglos und mit todbleichem Gesicht auf den vierbeinigen Tod, der da auf sie zukroch.
Thuran war bei dem grauenvollen Gebrüll zur Öffnung der Laubhütte gekrochen, und als er sah, was sich unter ihm abspielte, hüpfte er auf und nieder und schrie ihnen auf russisch zu:
»Lauft! Lauft! Sonst bin ich nachher ganz allein an diesem Schreckensort.« Dann brach er zusammen und begann zu weinen.
Diese neue Stimme lenkte die Aufmerksamkeit des Löwen für einen Moment ab. Er blieb stehen und warf einen forschenden Blick in Richtung des Baumes. Clayton konnte die Anspannung nicht länger ertragen. Er wandte dem Tier den Rücken zu, vergrub den Kopf in den Armen und wartete.
Die junge Frau blickte ihn entsetzt an. Warum unternahm er nichts? Wenn er sterben mußte, warum nicht wie ein Mann – tapfer, mit dem lächerlichen Stock auf die schreckliche Löwenfratze einschlagend, ganz gleich, wie nutzlos es sein mochte. Würde Tarzan von den Affen sich so anstellen? Würde er nicht bis zum letzten Atemzug heldenhaft kämpfend in den Tod gehen?
Der Löwe duckte sich nun zu dem Sprung, der ihrer beider junges Leben unter reißenden, gelben Zähnen enden lassen würde. Jane Porter sank zum Gebet auf die Knie und schloß die Augen, um den letzten grauenvollen Akt nicht mit ansehen zu müssen. Thuran fiel, vom Fieber geschwächt, in Ohnmacht.
Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu einer Ewigkeit, doch das Tier sprang nicht. Clayton hatte fast selbst das Bewußtsein verloren ob der andauernden Todesfurcht, seine Knie zitterten, gleich würde er zusammenbrechen.
Jane Porter konnte es nicht länger ertragen. Sie schlug die Augen auf. Träumte sie?
»William, sieh nur!« wisperte sie.
Clayton nahm sich nun so weit zusammen, um den Kopf zu heben und dem Löwen zuzuwenden. Ein Schrei der Überraschung entfuhr seinen Lippen. Das Tier lag zusammengekrümmt und tot zu ihren Füßen. Ein schwerer Kampfspeer ragte aus dem braunen Fell. Er war über der rechten Schulter in den Rücken gedrungen, hatte den Körper durchbohrt und war im Herzen steckengeblieben.
Jane Porter war aufgesprungen. Als Clayton sich zu ihr umwandte, taumelte sie vor Schwäche. Er streckte die Arme aus, um zu verhindern, daß sie fiel, und zog sie an sich. Dann preßte er ihren Kopf an seine Schulter und bückte sich, um sie zum Dank zu küssen.
Sie stieß ihn sanft von sich.
»Tu das bitte nicht, William«, sagte sie. »In den vergangenen kurzen Momenten bin ich um tausend Jahre gealtert. Angesichts des Todes habe ich gelernt, wie ich leben soll. Ich möchte dir nicht mehr wehtun, als notwendig, aber ich kann die unmögliche Situation nicht länger ertragen, die ich aus falscher Loyalität auf mich genommen habe. Ich fühlte mich an das spontane Versprechen gebunden, das ich dir gegeben habe.
Diese letzten wenigen Sekunden meines Lebens haben mir verdeutlicht, wie abscheulich es wäre, würde ich weiterhin versuchen, dich und mich zu täuschen und die Möglichkeit, jemals deine Frau zu werden, falls wir je in die Zivilisation zurückkehren sollten, auch nur einen Augenblick länger in Betracht zu ziehen.«
»Um Gottes willen, was meinst du damit? Wieso hat unsere von der Vorsehung herbeigeführte Rettung bewirken können, daß sich deine Gefühle mir gegenüber geändert haben? Du bist gewiß nur außer dir – morgen wirst du wieder du selbst sein.«
»Ich bin diese Minute mehr ich selbst, als ich das ganze Jahr über war«, erwiderte sie. »Die Vorgänge, die sich soeben abgespielt haben, haben mir wieder die Tatsache vor Augen geführt, daß der tapferste
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