Tarzan 04 - Tarzans Sohn
würde eine solche Begierde, und wäre sie noch so stark, diesen Mann zur Unehrenhaftigkeit verleiten. Sein Moralempfinden war durch die seelischen Qualen gestärkt worden, die er erleiden mußte. Körper und Geist waren durch Schmerz und Reue geläutert worden.
Sein ganzes Sinnen und Trachten war nun darauf gerichtet, zu sühnen – sich auf Meriems Seite zu schlagen und, wenn notwendig, sein Leben zu ihrem Schutz einzusetzen. Er suchte das Kanu nach dem Paddel ab, denn der Entschluß hatte bei ihm das Verlangen nach sofortigem Handeln ausgelöst, ungeachtet seiner Schwäche und Verwundung. Aber das Paddel war verschwunden. Er blickte zum Ufer. In der Dunkelheit der mondlosen Nacht sah er undeutlich die schwarze, drohende Masse des Dschungels, gleichwohl löste dieser Anblick kein Entsetzen bei ihm aus, wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen war. Er wunderte sich nicht einmal, daß er keine Angst hatte, und daß seine Gedanken völlig von der Gefahr in Anspruch genommen wurden, die jemand anderem drohte.
Er kniete sich hin, beugte sich über die Bootswand und begann, mit den Händen kraftvoll zu rudern. Obwohl es ihn ermüdete und schmerzte, hielt er an dieser selbst auferlegten Mühe stundenlang fest. Ganz allmählich näherte sich das treibende Kanu dem Ufer. Der ehrenwerte Morison konnte direkt sich gegenüber einen Löwen brüllen hören, es klang so nahe, daß er spürte, er müsse fast am Ufer sein. Er zog sein Gewehr näher zu sich, hörte indes nicht auf zu paddeln.
Nach einer Zeit, die dem ermatteten Mann wie eine Ewigkeit vorkam, fühlte er, wie Zweige das Kanu streiften, und hörte das Wasser um sich herum plätschern. Er hob den Arm und hielt einen Augenblick später einen belaubten Zweig in der Hand. Abermals brüllte der Löwe – diesmal schien er sehr nahe zu sein, und Baynes fragte sich, ob das Tier ihm vielleicht das Ufer entlang gefolgt sei und darauf warte, daß er an Land ging.
Er prüfte die Stärke des Astes, an den er sich klammerte. Er schien dick genug zu sein, ein Dutzend Männer zu tragen. Dann langte er nach unten, hob das Gewehr vom Boden des Kanus und streifte den Riemen über die Schulter. Abermals prüfte er den Ast, dann langte er so weit er konnte nach oben, um einen sicheren Halt zu finden, und zog sich unter Schmerzen langsam hoch, bis seine Füße das Kanu nicht mehr berührten, das, nun in Freiheit, lautlos unter ihm wegglitt, um auf ewig in der Finsternis der dunklen Schatten weiter stromab zu verschwinden.
Er hatte die Brücken hinter sich verbrannt. Nun mußte er entweder weiter hinaufklettern oder zurück in den Fluß fallen, einen anderen Weg gab es nicht. Er versuchte, ein Bein über den Ast zu schwingen, doch dies überstieg seine Kraft, denn er war noch sehr schwach. Eine Zeitlang hing er da und spürte, wie seine Kräfte nachließen. Er wußte, er mußte sofort den Ast darüber erreichen, oder es würde zu spät sein.
Plötzlich brüllte der Löwe ihm fast ins Ohr. Baynes blickte hinauf. Er sah zwei glühende Punkte gar nicht weit von ihm entfernt und etwas oberhalb. Der Löwe stand an der Uferkante, starrte ihn an – und wartete auf ihn. Soll er ruhig warten, dachte der ehrenwerte Morison. Löwen können keine Bäume erklimmen, und wenn ich auf diesem hier weiter hinaufkomme, bin ich vor ihm sicher.
Die Füße des jungen Engländers hingen fast über der Wasseroberfläche – dichter, als er es ahnte, denn unter ihm herrschte pechschwarze Finsternis. Da vernahm er eine leichte Bewegung im Fluß unten, und etwas schlug gegen seinen Fuß, dann folgte ein Laut, den er sofort richtig erkannte – das Klappen mächtiger Kiefer, die zuschnappten.
»Mein Gott, das Biest hätte mich beinahe erwischt!« rief der ehrenwerte Morison laut und nahm sofort seine Bemühungen wieder auf, nach oben in relative Sicherheit zu gelangen, aber bei dieser letzten Anstrengung erkannte er, daß sie vergebens war. Die Hoffnung, die ihn bislang hatte ausharren lassen, begann zu schwinden. Er spürte, wie ermattet er war, die Finger waren wie tot und würden sich gleich von dem Ast lösen – und er würde zurück in den Fluß fallen – geradewegs in den Rachen des gräßlichen Todes, der ihn dort erwartete.
Da hörte er etwas in den Blättern über ihm rascheln, als bewege sich dort ein Lebewesen. Der Zweig, an den er sich klammerte, beugte sich unter einem zusätzlichen Gewicht, – und keinem sonderlich leichten. Das konnte man an seinem beträchtlichen Absinken
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