Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
gefördert haben. Eine der diskutierten ist die Uferhypothese von dem Berliner Humanbiologen C. Niemitz . Für ihn waren Uferbereiche ideal für die Entstehung des aufrechten Ganges. Die frühen Hominini dürften in Uferbereichen von Seen undFlüssen nach eiweißreicher Nahrung gesucht haben. Da die Oberfläche von oben betrachtet weniger reflektiert, ließ sich aufrecht stehend besser auf den Grund sehen. Im Wasser werden Sprunggelenke, Knie und Hüfte durch den Auftrieb des Wassers entlastet und der noch nicht fertige aufrechte Gang wurde stabilisiert. Die Aasfresser-Hypothese geht von einem anderen Szenario in der Savanne aus. Aas machte einen wichtigen Bestandteil der Ernährung früher Hominini aus. Die frühen Menschen standen dabei in starker Nahrungskonkurrenz zu aasfressenden Tieren. Um das Aas möglichst schnell aufzufinden, bevor es verdarb oder von der Konkurrenz aufgefressen wurde, war es sinnvoll sich aufzurichten, um im hohen Gras der Savannen kreisende Geier zu beobachten und das Areal gezielt nach den verendeten Tieren abzusuchen.
Bei der riesigen Ausdehnung der Peripherie des tropischen Regenwaldes von mindestens 5 Millionen km 2 ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich unterschiedliche Varianten aufrecht gehender Vormenschen entwickelten. Früheste Homininenfunde belegen dies: Die Fundorte von Sahelanthropus tchadensis und Orrorin tugenensis , die beide möglicherweise schon aufrecht gegangen waren, liegen zeitlich und geografisch weit auseinander (s. u. und Abb. 9. 3 ).
Abb. 9. 3 Klimaabhängige Verbreitung der frühen Menschenartigen in Afrika. Die frühen Hominini lebten am Rande des Regenwaldes in Busch- und Flusslandschaften. Als diese sich aufgrund klimatischer Änderungen stark ausbreiteten, verbreiteten sie sich passiv mit (blaue Pfeile). Dagegen haben H. erectus und H. sapiens Afrika aktiv verlassen (rote Pfeile).
Die Trennung von Schimpansen und Menschenartigen erfolgte bereits vor 6 bis 7 Millionen Jahren, wie Fossilien zeigen, die als erste Hominini angesehenwerden (Abb. 9. 4 , Tab. 9. 1 ). Von Sahelanthropus tchadensis existiert ein fast vollständiger Schädel aus 6 bis 7 Millionen Jahre alten Ablagerungen. Etwas jünger ist Orrorin tugenensis , von dem Reste eines Oberschenkelknochens in Ostafrika gefunden wurden. Ein weiterer früher Hominini ist Ardipithecus ramidus , der durch 4,4 Millionen alte Schädelknochen und Teile des Bewegungsapparates aus Äthiopien belegt ist. A. ramidus ging auf jeden Fall aufrechter als seine Vorfahren. Die Hinterhauptsöffnung ist weiter nach unten gerückt als bei Schimpansen und Gorillas. Doch ähnelte er diesen noch in vielen anderen morphologischen Merkmalen. Wir wissen nicht, wie lange jede dieser Arten lebte. Auch kann momentan nicht gesagt werden, ob eine dieser Formen ein direkter Vorfahre des Homo sapiens war.
Abb. 9. 4 Der Stammbaum der Hominini. Die Säulendiagramme repräsentieren die Zeiträume, in denen die dargestellten Formen auftraten; gestrichelte Linien weisen auf ungeklärte Entwicklungen hin. (Nach Bräuer, 2007.)
Die Gattung Australopithecus („Südaffe“) umfasst mehrere Arten. Die ältesten Australopithecinen sind 4–5 Millionen Jahre alt. Die Schädelproportionierung der „Südaffen“ war noch ursprünglich. Skelettteile weisen auf einen aufrechten Gang hin. Als Ende der 1970er Jahre bei Laetoli in Tansania die fossilen Fußspuren dreier aufrecht gehender Hominini entdeckt wurden, war dies ein weiterer und unumstößlicher Beweis für den aufrechten Gang der Australopithecinen. An den Spuren ist zu erkennen, dass die große Zehe bereits an die übrigen herangerückt ist und alle Zehen in einer Linie stehen. Die verwandtschaftlichenBeziehungen zwischen den Australopithecus-Arten sind nicht eindeutig zu rekonstruieren, da sie große morphologische Unterschiede aufwiesen.
Ein gutes Bild können wir uns von Australopithecus afarensis machen, da von diesem mehr als 120 Fossilien gefunden wurden und nahezu alle Skelettelemente bekannt sind (Tab. 9. 1 ). Der bekannteste Afarensis-Fund ist „ Lucy “, ein 3,18 Millionen altes, gut erhaltenes Exemplar aus Äthiopien. A. afarensis lebte vor 3,6–2,9 Millionen Jahren und wies eine aufrechte Körperhaltung und eine Körpergröße von etwa einem Meter auf. Die Fähigkeit zum Klettern und zur vierbeinigen Fortbewegung war noch vorhanden. Der Schädel war schimpansenähnlich, sein Gehirnvolumen lag bei 500 cm 3 . Sein Gebiss hat kräftige Eckzähne und eine
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