Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
in einem ersten Schritt genau so rekonstruiert wie in der Phylogenetischen Systematik. Im System werden paraphyletische Taxa jedoch ausdrücklich zugelassen, das heißt, das System spiegelt das Kladogramm nicht eindeutig wider. Ein paraphyletisches Taxon ist innerhalb der Evolutionären Klassifikation dann zugelassen, wenn es eine ökologisch und stammesgeschichtlich geschlossene Gruppe darstellt, aus der eine – holophyletische – Teilgruppe sich auf ein anderes evolutionäres Niveau entwickelt hat. In Diskussionen ständig wiederkehrendes Beispiel sind die schon erwähnten Reptilien und die Vögel. Es steht außer Frage, dass es ein monophyletisches Taxon Reptilia nicht gibt, denn die letzten gemeinsamen Vorfahren aller Reptilien sind auch Vorfahren der Vögel und der Säugetiere. Ebenfalls ist unbestritten, dass unter den heutigen Reptilien die Krokodile die Schwestergruppeder Vögel sind. Trotzdem bleiben in einem evolutionären System die – paraphyletischen – Reptilien als Taxon erhalten, weil sie ein relativ geschlossenes evolutives Niveau widerspiegeln, während die Vögel demgegenüber etwas qualitativ Neues und Erfolgreiches darstellen. Aus dem Stammbaum-Diagramm der Evolutionären Klassifikation (Abb. 8. 7b ) lässt sich das Folgende mit Rängen versehene System der Amniota erstellen:
Überklasse Amniota
Klasse Mammalia
Klasse Reptilia
Ordnung Testudines
Ordnung Rhynchocephalia
Ordnung Squamata
Ordnung Crocodylia
Klasse Aves
8.6.3 Numerische Taxonomie
Eine dritte Richtung der Systematik ermittelt die vermuteten Beziehungen zwischen den Taxa auf völlig andere Weise als die phylogenetische Systematik und die evolutionäre Klassifikation. Die Numerische Taxonomie (auch Phänetik oder Numerik genannt) errechnet Gesamtähnlichkeiten zwischen Taxa. Dabei wird weder nach Homologie und Konvergenz, noch nach apomorph und plesiomorph unterschieden. Jedes Merkmal zählt genau gleichviel. Ziel eines solchen Verfahrens ist es, alle subjektiven Momente auszuschalten. Zu diesem Zweck werden möglichst viele Merkmale untersucht, die durchnummeriert werden. Dann wird jedem Merkmal in jedem Taxon – in der Numerik spricht man von OTU (operational taxonomic unit) – ein Zahlenwert zugewiesen, am besten 1 (für vorhanden) oder 0 (für nicht vorhanden). Die Taxa, mit den meisten Übereinstimmungen kommen in eine gemeinsame Gruppe. Das eingesetzte mathematische Verfahren heißt Clusteranalyse und kann für lebende so gut wie für nicht lebende Objekte verwendet werden. Das Ergebnis einer solchen Clusteranalyse ist für die sechs Teilgruppen der Amniota beispielhaft ausgefüllt (Tab. 8. 3 ).
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Methode der Numerik. Im Verfahren der Ähnlichkeitsermittlung wird als erstes ausgezählt, in wie vielen Merkmalen je zwei Taxa übereinstimmen und in wie vielen sie sich unterscheiden. Dabei werden – bei dem hier vorgeführten Verfahren nach P. Jaccard und P. H. A. Sneath – negative Übereinstimmungen nicht gewertet. Der Ähnlichkeitskoeffizient S i ist der Quotient aus positiven Übereinstimmungen (a) und der Summe aus a und den Unterschieden (u). Ganz entsprechend können statt der errechneten Ähnlichkeitskoeffizienten in eine solche Tabelle auch empirisch ermittelte Distanzwerte eingetragen werden. Der nächste Schritt ist die Clusteranalyse. Die OTU-Paare, mit den jeweils höchsten Ähnlichkeitswerten werden zusammengefasst. Schritt für Schritt wird dann eine Einheit nach der andern an das schon gebildete Cluster angeschlossen. Der Gesamtabstand einer Gruppe zu jeder andern Einheit errechnet sich als arithmetisches Mittel aus denAbständen der geclusterten (= geklumpten) Einheiten zu den jeweiligen Einheiten (Abb. 8. 7c ). Es ist zu sehen, dass man mit dieser Methode zu einer anderen Einteilung kommt als mit der phylogenetischen Systematik. Das liegt daran, dass Übereinstimmung in plesiomorphen Merkmalen (Nummern 1, 2, 3, 10, 12 der Tab. 8. 3 ) und in konvergenten (6, 9, 14 und 7 bei Vögeln + Krokodilen und Säugern) genauso gezählt werden wie Übereinstimmungen in synapomorphen Merkmalen (z. B. 7 und 8 bei Krokodilen und Vögeln). Beim gerade angewandten Rechenverfahren wird die Übereinstimmung in Merkmal 10 (Fehlen des Jacobsonschen Organs) zwischen Krokodilen und Vögeln gar nicht gewertet. Es gibt aber andere Rechenverfahren in der Numerischen Taxonomie, die Reduktionen berücksichtigen. Eine Fülle von Computerprogrammen für die Belange der Numerischen Taxonomie ist im Programmpaket PHYLIP
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