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Tastenfieber und Liebeslust

Titel: Tastenfieber und Liebeslust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Mascha Blankenburg
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sehr freuen.
    Du merkst, dass Dein Einfaltspinsel um Fassung und auch damit ringt, wie er seine Gefühle verarbeiten und ausdrücken soll. Wenn ich einmal groß und erwachsen bin, werde ich die richtigen Worte finden!
    Dein Verbindungsschläger
     
     
    1. April – 19:43 Uhr
    Carissimo Cavaliere, Du liebes Wesen.
    Komme gerade aus dem Schlosspark zurück, wurde erwischt, weil Claudio ohne Leine lief, 25 € zum 2. Mal innerhalb von 14 Tagen!!! Jetzt liegt er unterm Sofa und schämt sich.
     
    Es war wunderschön mit Dir in der Küche wie in Deinen Armen, und ich denke darüber nach, was zwei so unterschiedliche Menschen so schnell in eine so gelöste Nähe bringt. Dabei entdecke ich aber auch Gemeinsamkeiten und freue mich darüber. Jedenfalls bist Du kein Formalist und auch nicht konventionell. Heute liebe ich meinen stockkonservativen Schirmträger!
    Mein Liebling, wir wissen noch so wenig voneinander. Hier mal etwas aus meiner Autobiografie (Kindheit):
     
    Seit meinem zweiten Lebensjahr war Singen meine Lieblingsbeschäftigung. Wo immer ich mich befand, ich sang. Meine Mutter hörte mich bereits von Weitem nach Hause kommen, und auf meinem Schulweg, der durch die Wilhelmstraße führte, kamen oft die Geschäftsleute, wenn sie mich singen hörten, aus ihren Läden heraus und riefen: »Ach, da kommt wieder unsere Sängerin.« Singen war meine ursprüngliche Äußerungsform, und das liebte ganz besonders meine Großmutter, die selbst eine wunderschöne Altstimme besaß.
    Sie sang am liebsten Operettenarien, und ihr »Schenkt man sich Rosen in Tirol« oder »Höre ich Zigeunergeigen« konnte ich nicht oft genug hören. Ich sang auch später in der Schule, ja, sogar während des Unterrichts. Immer dann, wenn mich die Schulstunde langweilte, summte ich vor mich hin, und es dauerte nicht lange, dann sang ich mein Lied selbstvergessen, laut und deutlich. Meist wurde ich wegen dieses Vergehens in die Ecke geschickt und benötigte dort meine ganze Konzentration, um die Langeweile nicht wieder mit einem neuen schönen Lied zu vertreiben.
    Meine Großmutter litt sehr darunter, dass sie als Kriegswitwe nun ein armseliges Dasein führen musste. Ihr Mann war kurz nach seiner Heimkehr aus dem Ersten Weltkrieg an seinen Verletzungen gestorben. Ohne Ehemann gab es kein gesellschaftliches Leben mehr und nun, nach dem Zweiten Weltkrieg, waren Hunger und Überlebenskunst die ständigen Begleiter. Sie liebte meinen Bruder und mich, doch mir als Nesthäkchen und Sängerin galt ihre ganz besondere Zuwendung.
    Wir lebten mehr als einfach, aber Oma achtete darauf, dass wir alle Regeln der ›Etikette‹ erlernten, damit wir im späteren Leben uns überall gesittet und wohlerzogen bewegen konnten. Sie achtete auf eine gewählte Sprache und auf Höflichkeit. Unvergessen sind ihre Anweisungen zu den Tischmanieren, auf die sie allergrößten Wert legte.
    Ab meinem siebten Lebensjahr unterrichtete mich Großmutter einmal im Monat, wenn sie ›zur Tafel‹ bat. Sie schmückte den ausgezogenen Esszimmertisch mit einem Tafeltuch und deckte nach allen Regeln der Kunst ein. Rechts von den Tellern lagen die kristallenen Besteckbänkchen, drei verschiedene Gläser waren mindestens aufgestellt, und vor dem leeren Porzellan begann nun das, was ich das ›Geisteressen‹ nannte.
    Großmutter: »Als Vorspeise haben wir heute Champignons à la Crème. Welchen Wein offerieren wir dazu, Kind?« Oder: »Der erste Gang ist eine Fenchelsuppe, garniert mit saurer Sahne. Der zweite Gang gespickter Rehrücken, pommes soufflées mit Rotkraut und kleinen geschälten Apfelstückchen. Und was trinken wir hierzu? Selbstverständlich einen Bordeaux. Zu Wild wird immer Rotwein gereicht.«
    Wir hoben elegant die Gläser und nickten uns vor dem ersten Leerschluck freundlich zu. Ich musste gerade sitzen, mir mit der Serviette den Mund abtupfen, die imaginären Tischnachbarn anlächeln und die Zubereitung der Speisen loben. Das gefiel mir sehr, und es störte mich nicht im Geringsten, dass alle Teller leer waren. Alle Speisennamen waren mir damals nichts weiter als besonders klangvolle Worte. Süße, fremde Phonetik!
    Welche Überraschung war es, als ich zum ersten Mal wirklich Kroketten sah und aß! Sie krachten viel weniger, als ich dachte! Wie verblüfft war ich über die ›Forelle blau‹ und den marinierten Lachs! Noch heute begegnen mir Speisen, die ich nur vom Namen her durch meine Großmutter kenne. Dann nehme ich mein Weinglas und proste ihr ganz wohlerzogen

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