Tastenfieber und Liebeslust
alkoholabhängig und mit einer total zerstörten Leber im Alter von 48 Jahren über die wechselseitigen Einflüsse zwischen Nietzsche und Freud! Er las beide im Originaltext und fragte mich manchmal, was Freud in diesem oder jenem Absatz aussagen wollte. Das war mir immer schrecklich peinlich, denn häufig musste ich zugeben, dass ich es ihm nicht erklären konnte. Zu hoch für mich!!
Am Tag nach seinem Rigorosum starb er! Die Arbeit wurde mit ›summa cum laude‹ ausgezeichnet. Sein Tod hat mich tief getroffen, denn ich habe ihm sehr viel zu verdanken. Als Francois und ich uns mit 18 kennenlernten, waren wir sofort ein Herz und eine Seele. Mein Lebensweg wäre ohne ihn sicher geradliniger verlaufen. Francois war so vielseitig! In mehreren Sportarten außergewöhnlich. Ein genauso besessener Schach- und Bridgespieler wie ich. Er sagte immer: Die Entscheidung für einen Beruf ist eine Entscheidung gegen viele andere, aufregende Berufe. Ich glaube, mein unruhiger, wirrer Lebensweg ist auch maßgeblich Folge unserer vielen hitzigen und anregenden Diskussionen.
Stell Dir mal vor, Markus hätte Dich geheiratet, und Du hättest erst einen und dann immer mehr Markusse bekommen. Du hättest Kochen gelernt, Kinder erzogen und täglich Betten gemacht. Keine Karriere als Pianistin, keine Frauenbewegung. Wie manchmal der Zufall oder ein Mensch das ganze Leben verändern kann!
Mit keinem Deutschen habe ich mich so gut verstanden, habe ich eine so tiefe Freundschaft erlebt wie mit ihm. – Nur auf einem Gebiet hatten wir unterschiedlichen Geschmack. Bei Mädchen. Ich fand immer die attraktiv, die ihn nicht anzogen, und andersherum. So gab es beim Anbaggern der holden Weiblichkeit keine Rivalität und keinen Streit. Welch ein Glück!
So, und nun verstehst Du hoffentlich, warum ich täglich – auch für mich allein – koche und keinen Fertig- oder Büchsenfraß anrühre.
Dieses Mal war die Mail wohl etwas sehr lang. Aber bei der Erinnerung an Francois geht mir vieles durch den Kopf und durch das Herz.
Dein Barone
PS: Hat Heinrich schon geantwortet?
3. April – 23:21 Uhr
Cavaliere,
schade, dass ich Francois nicht kennenlernen konnte! Mir scheint da eine Parallele zu bestehen: Heinrich hat auch mich sehr geprägt, so wie Dich Francois.
Hier die Antwort von Heinrich:
›Liebe Eva,
zu dem Abend mit Deinem Baron: welcher ernsthafte Historiker wird Wikipedia als Beweisquelle zitieren und zusätzlich längst überholte, in Frage gestellte Thesen vertreten! Außerdem muss ich sagen, dass mir die ganze Art der Diskussionsführung Deines neuen Freundes große Zurückhaltung abverlangte. Wie bereits gesagt:
Der Trend zu weniger Kindern begann schon Jahrzehnte vor der Einführung der Pille! Er war bedingt durch die aufkeimenden materiellen Bedürfnisse, durch die neuen Regelungen der Rentenversicherung, also durch gesellschaftliche Wandlungen. Na, Maximilian hat dafür sehr gut gekocht, das Lammfilet war echt großartig. Und das ist schließlich auch viel wert. Dennoch: er sollte sich gründlicher über die Ursachen des sog. „Pillenknicks“ informieren!
Heinrich‹
Ach Amore, ich glaube, wir lassen das jetzt alles auf sich beruhen.
Übrigens: Wenn wir die Umgebung Berlins erkunden wollen, können wir Sybilles Auto haben oder auch den Riesenkombi vom Professore.
Kuss Eva
3. April – 23:35 Uhr
Mein liebes Evalein,
Riesenkombi ist gut. Aber warum müssen wir dann noch die Zeit vertrödeln und in der Gegend herumfahren?
Heinrichs Bemerkungen verstehe ich nicht. Ich habe mehrfach von den Folgen des Geburtenrückgangs der letzten 10 Jahre gesprochen. Diese betrafen ganz Europa (nun, vielleicht nicht Pusemuckel). Hat er ein schlechtes Gedächtnis, dass er sich nicht mehr an das erinnert, was vor wenigen Stunden gesagt wurde, beeinflusst ihn sein Weltbild über Adelige so stark, dass er nicht entspannt zuhören kann?
Um mich mache Dir keine Sorgen! Ich habe ja Dich und auch großen Spaß an geistiger Auseinandersetzung, weil ich dieses Ringen als amüsantes, anregendes Spiel betrachte, selbst wenn Heinrich regelmäßig ausflippen sollte. Dennoch würde ich es vorziehen, ein harmonisches, freundschaftliches Verhältnis zu ihm aufzubauen, da er Dein bester Freund ist.
Wir reden und schreiben jetzt nicht mehr über ihn. Aber eine Bitte habe ich: Sollte er noch mal ausfallend werden, dann lass mich die Sache allein ausfechten. Ich fühle mich in diesem Moment mit Deiner Protektion nicht wohl. Es
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