Tastenfieber und Liebeslust
Fluch über Familien hängen, und in denen versteckt in schwarzen Nebeln das pure Grauen aus den unermesslichen Tiefen des ewig Bösen hochkommt. Trotz allem wünsche ich Dir eine gute Nacht ohne Albträume und Schreckensvisionen (meine Großmutter hat Jungfrauen in deren höchster Angst immer den Tipp gegeben: Streichle dich dort, wo es am schönsten ist). – Auch ich möchte Dir in meiner grenzenlosen Liebe raten: Streichle Dich lieber einmal zu viel, als zweimal zu wenig! Ich liebe Dich!
Dein Baron Maxula
7. April – 20:46 Uhr
Meine geliebte Eva,
Du hast ja einen großen, wohl auch sehr netten, treuen und liebenswerten Freundeskreis. Mehrfach sagtest Du, der oder die sind ganz neugierig auf mich. Woher kommt diese Neugier?
Wollen Deine Freunde nur wissen, was man so auflesen kann, wenn eine Dame sich »per Inserat wegwirft« (Zitat Deiner strengen Freundin Uschi)? Interessiert sie die Exotik? Ein Adliger, der in einer Schlägerverbindung ist (gibt es ja auch sehr selten, weniger als 0,1 % eines Studentenjahrgangs), also so ähnlich wie das Eisbärbaby Knut, die neue Attraktion des Berliner Zoos?
Ein paar Informationen über das, was mich, und was man von mir erwartet, wären schon sehr hilfreich. Ich möchte ja niemanden enttäuschen.
Alles gerät in Unruhe, wenn ich an Dich denke. Meine Süße, nun schlaf gut!
Deine aufgelesene, exotische Mülltonne
7. April – 21:12 Uhr
Amore,
Du wirst es mir vielleicht nicht glauben: Es ist mir völlig egal, was meine Freunde von Dir erwarten.
Auch wenn ich sie schätze, ich muss mein Leben leben. So wie sie ihres. Wenn ich Dich lieben will, so ist das unabhängig von deren Meinung und allein meine Sache. Und so lange Du so liebevoll mit mir bist wie bisher, lege ich mich in Deine Arme, habe Sehnsucht nach Dir und wünsche mir, dass es ewig so bleiben möge.
Eva
8. April – 00:04 Uhr
Schade, ich dachte Du würdest mir in dem gleichen Stil antworten, in dem ich die Mail verfasste. Ich fragte Dich nach den Gründen der Neugier. Es hat mich doch beschäftigt, dass Heide mich als ›sehr konservativen Partner‹ in ihrer Mail bezeichnet hat. Deine Freunde haben einen äußerst überholten Begriff vom Konservatismus.
Die 68er waren mal fortschrittlich, denn als sie – neben vielen anderen, positiven politischen Zielen – die Gleichheit der Geschlechter forderten, standen sie einer großen Phalanx Konservativer gegenüber, die das alte Rollenbild der Frau verteidigten.
Die Gleichheit ist heute zwar noch nicht im vollen Umfang erreicht, aber sie ist in der Gesellschaft nunmehr unstreitig und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Überall gibt es Gender Studies. Merkel und von der Leyen – und Du selbst ja auch – sind Beispiele für die Veränderung der letzten 30 Jahre. Das Ziel der damaligen Bewegung ist im Prinzip erreicht. Und dafür müssen nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer den engagierten Studenten, Soziologen, Denkern der 68er Bewegung danken.
Wer also heute noch das Thema Chancengleichheit der Geschlechter und Emanzipation der Frauen in Deutschland diskutiert, ohne sich mit den zahllosen neuen, dringenden, existentiellen Problemen wie Globalisierung, Umweltverschmutzung, insbesondere Klimaveränderung, unser Konsumverhalten, das zur Ausbeutung der Dritten Welt führt etc. auseinanderzusetzen, verharrt noch an Themen, die nicht mehr aktuell und fortschrittlich sind. Dies tun nur noch die Konservativen der heutigen Zeit. An Äußerlichkeiten wie Schlips und Jackett überprüfen zu wollen, ob einer konservativ ist oder nicht, kann nur als oberflächlich und rückwärts gewandt bezeichnet werden.
Es erinnert mich, wie ich Dir heute schon sagte, an die bürgerlichen Schriftsteller des Fin-de-siècle wie O. Wilde, Th. Mann, Ibsen etc. Wunderschöne Literatur und elegante Sprache! Psychoanalysen über Menschen, die genug Knete hatten, um sich satt zu essen, sich elegant einzurichten oder in Schweizer Sanatorien zu fahren!
Die Arbeiter, sofern sie denn deren Werke gelesen haben, werden sich gedacht haben, meinen hungrigen Magen und meine dunkle, feuchte Wohnung im dritten Hinterhaus würde ich gern mal gegen deren dekadenten Weltschmerzproblemen eintauschen. Aber die brennenden Themen der Zeit um 1900, wie Nationalismus, Antisemitismus, Sozialismus u. v. m., haben doch nur die wenigsten, zumindest nicht die bürgerlichen Schriftsteller dieser Zeit behandelt.
Je mehr ich darüber nachdenke und die Kulturgeschichte
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