Tastenfieber und Liebeslust
wir sollten nicht so direkt sein und Rücksicht auf Deinen Herrn Bruder nehmen. Ich wiederhole noch einmal:
Du sollst meine Endlösung sein! Du wirst zuständig sein für die Gebrechlichkeitspflegschaft, Du wirst mein Vormund, per Vollmacht oder notariellem Vertrag ausgewiesener Vertreter und Zuwendungs- und Empfangsberechtigte sein, wie das Gesetz es verlangt. Du wirst und sollst alles sein! Wir können auch sagen: ›Ich bin Dein und Du bist mein.‹ So einfach! Wir werden schon eine zufriedenstellende Definition unserer Beziehung finden.
Ich denke, wir fahren sofort nach dem Familientag nach Kleesten. Von dort nach Berlin sind es nur zweieinhalb Stunden. Lass uns jede Minute dort verbringen und genießen.
Auf meinem Laptop werde ich ein Schach- und ein Bridgeprogramm mitnehmen. Also, wenn Du dich von mir abwenden solltest, werde ich versuchen, mein Leid mit einem eleganten Gambit oder mit einer waghalsigen Petite Schlemm Reizung zu unterdrücken. Du siehst, ich plane!
Jetzt ist es wieder sehr spät geworden. Träume süß, solange Du noch kannst. Wenn Du öfter mit mir zusammen sein solltest, kommst Du nicht mehr zum Träumen, sondern schläfst nur noch ermüdet ein!
Dein Max
15. April – 10:09 Uhr
Guten Morgen, mein Liebster,
wahrscheinlich bist Du zufrieden aus Deiner Dunkelkammer herausgeschlüpft und schon fleißig, mein Preuße.
Ich weiß, dass Du ein Fabulant und freudiger Wortverdreher bist, Dir das einen teuflischen Spaß macht, aber manchmal liegst Du damit auch schwer daneben. (Mehrere Beispiele erwünscht?)
Bitte bringe unsere schöne Zweisamkeit nicht mehr mit dem schrecklichen Wort ›Endlösung‹ zusammen.
Deine Eva
15. April – 10:37 Uhr
Wer viel schreibt und viel sagt, wird immer mal Worte finden, die nicht gefallen. Sag mir irgendwann mal im Bett, welche ich nicht mehr gebrauchen sollte. Ich werde mich daran halten! Aber wenn etwas geschrieben wird, klingt alles so hart und unversöhnlich. Klar?
Ich fürchte, die Arbeit des gestrigen Tages habe ich nicht gespeichert! Une grande catastrophe!
Das Zimmer duftet so schön!
Küsschen
Dein Geliebter
15. April – 10:58 Uhr
Oh Hilfe!! Hoffentlich ist dem nicht so, und Du findest die Seiten wieder! Mir ist auch schon mal etwas abgestürzt, ich fühle mit Dir.
Natürlich sagt ein Mensch, der gerne und viel redet, wie auch ich, auch mal etwas Unpassendes. Aber ich frage mich dann immer, was steckt dahinter, warum benutzt er dieses Wort?
Und da ich mir nicht vorstellen kann, dass Du nicht weißt, was Du sagst, verunsichert mich Deine Wortwahl des Öfteren.
Du – mit Deinem Geschichtsbewusstsein weißt doch genau, wozu das Wort ›Endlösung‹ benutzt wurde. Dann ist es doch nicht mehr lustig, es in irgendeinem anderen Zusammenhang als Pointe zu benutzen, oder?
Kuss
Eva
15. April – 11:41 Uhr
Du hast ja recht, meine Geliebte.
Manchmal bin ich vielleicht etwas frivol. Im Kern steckt aber dahinter, gegen den Stachel zu löcken. So drückte es meine Mutter immer aus.
Anachronistisches liebe ich deswegen besonders. Zeitgeist und political correctness kommen immer dogmatisch und doktrinär daher. Jeder, der sich diesen Strömungen nicht anpasst, wird von den vielen kleinen Schreiberlingen und Medienfritzen in der Luft zerrissen. Das sind alles Leute, die ein geistiges Korsett mit definierten Begriffen brauchen und nur normativ, in Schubladenkategorien denken. Rechts wie links. Warum benötigen viele Menschen Strukturen und Normen? Weil sie im tiefsten Inneren nicht humanitär denken und fühlen, weil sie nicht sich selbst, ihre Mitmenschen und die Natur lieben können. Sie betrachten das Leben, und alles was sich ihnen bietet, eben nicht als Geschenk und Chance, sich zu entwickeln und zu leben (siehe Pasternak).
Also mache ich mich über Zeitgeist und von der political correctness besetzte Begriffe lustig oder kämpfe dagegen an (selten, aber manchmal kämpfe auch ich). Ich lasse mir eben von niemandem vorgeben, wie ich zu denken und wie ich ein Wort zu verstehen habe.
Ich war mit meinen Kindern in Maidanek. Ich habe alle Bücher von Fest gelesen, Goldhagen, vieles von Lea Rosh und arbeite mich zum zweiten Mal durch die vierbändige deutsch-jüdische Geschichte der Neuzeit durch. Ich weiß also, dass im Januar 1942 in der Wannseekonferenz die ›Endlösung‹ beschlossen wurde.
Wenn ich dieses Wort auch in einem anderen Zusammenhang benutze, heißt dies nicht, dass ich mich über diesen entsetzlichen
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